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Stellungnahme zur Aufnahme eines „Rechts auf angemessenen Wohnraum“ in die Landesverfassung

Der Schleswig-Holsteinische Richterverband bedankt sich für die Anhörung und nimmt zu den Gesetzentwürfen LT-Drucksache 19/811 und 19/813 wie folgt Stellung:

Der Schleswig-Holsteinische Richterverband rät davon ab, ein Staatsziel „Recht auf angemessenen Wohnraum“ in die Landesverfassung Schleswig-Holsteins aufzu-nehmen.

1.) Die vorgeschlagenen Regelungen scheinen dem Wortlaut nach ein einklagbares Grundrecht einzuräumen. Der Gesetzesentwurf 19/813 stellt in der Begründung aber klar, dass die Vorschrift nur eine Staatszielbestimmung enthält. Auch der Gesetzes-entwurf 19/811 scheint wohl so zu verstehen zu sein, dass die Einführung eines Staatsziels gemeint ist. Tatsächlich können die Regelungen funktional auch nur Staatszielbestimmungen sein. Sie erfordern nämlich eine Konkretisierung durch Ge-setzes und ausführendes Handeln der Regierung und Verwaltung.

2.) Jedenfalls für das Mietrecht hat ein Bundesland keine Gesetzgebungszuständigkeit. Dem Bund steht die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz für das bürgerliche Recht zu (Art.74 Abs. 1 Nr. 1 GG), und er hat von dieser Kompetenz für das Mietrecht abschließend Gebrauch gemacht. Deshalb dürfen die Länder keine mietrechtlichen Regelungen treffen, auch nicht in der Verfassung.

3.) Gegen die Einführung von (weiteren) Staatszielen in die Landesverfassung sprechen vor allem folgende Gesichtspunkte:1

Die Einführung von Staatszielen birgt die Gefahr eines Auseinanderfallens von Verfassungstext und Verfassungswirklichkeit. Dies trägt zur Politikverdrossenheit bei, da eine für den Bürger erkennbare Lücke zwischen dem, was die Politik fortlaufend dem Bürger verspricht, und dem, was sie halten kann. Staatszielbestimmungen wie sol-che für das Wohnen erwecken bei den Menschen unerfüllbare Erwartungen, denen voraussichtlich die Enttäuschung folgen muss und die dann um so schädlicher auch für Autorität und Akzeptanz der Verfassung insgesamt wirken.

Eine Konkretisierung von Staatszielen wirft zudem die Frage der Prioritätensetzung zwischen einzelnen Staatsziele auf und auch zwischen Staatszielen und anderen Zielen, die damit in den Hintergrund gedrängt würden.

Durch die Nennung von Staatszielen in der Verfassung verlagert sich im übrigen der politische Prozess des Setzens von Prioritäten und des Abwägens politischer Ziele und Interessen aus dem Parlament in den Bereich der Gerichtsbarkeit. Der Bürger verliert damit die Möglichkeit, diesen politischen Prozess durch Wahlen zu kontrollie-ren und zu beeinflussen.


1 Vgl. hierzu auch BT-Drucksache 12/6000, S. 80 f.