Gemeinsame Presseerklärung des Schleswig-Holsteinischen Richterverbandes und der Neuen Richtervereinigung (NRV)

Gemeinsame Presseerklärung vom 11.06.2021:

Richterwahl in Schleswig-Holstein: Nur mit klaren Regeln!

Die Berufsvertretungen der Richter*innen und Staatsanwält*innen – der Schleswig-Holsteinische Richterverband und die Neue Richtervereinigung (NRV) – lehnen den am vergangenen Freitag von den Landtagsfraktionen von CDU, SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP sowie von den Abgeordneten des SSW gemeinsam eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung des Landesrichtergesetzes entschieden ab. Sie sind sich darin einig, dass die mit dem Gesetz beabsichtigte Abkehr vom Prinzip der Bestenauslese bei der Berufung von Richterinnen und Richtern keinen demokratischen Gewinn, sondern im Gegenteil erheblichen Schaden und einen immensen Vertrauensverlust für die Justiz nach sich ziehen würde.

Der Zugang zu öffentlichen Ämtern richtet sich laut Artikel 33 Absatz 2 des Grundgesetzes ausschließlich nach Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung. Dies gilt insbesondere auch für Richterinnen und Richter. Obwohl dieses Prinzip der sogenannten Bestenauslese zu den grundlegenden Normen unserer Verfassung zählt und unabänderlich alle Staatsgewalt bindet, soll der vom Landtag eingesetzte Richterwahlausschuss daran im Rahmen seiner Zuständigkeit künftig nicht mehr ausschließlich gebunden sein. Einhellig wollen die Abgeordneten der genannten Fraktionen und Parteien die Bestenauslese zu einem „Leitgedanken“ herabstufen, um dem Richterwahlausschuss, der zu zwei Dritteln aus Abgeordneten des Landtages besteht, eine nicht näher eingegrenzte Wahlfreiheit zu verschaffen. Zu der Frage, an welchen Kriterien sich die Auswahlentscheidung stattdessen orientieren soll und was von der Bestenauslese übrigbleibt, schweigt sich der Gesetzentwurf aus.

Intransparente Kriterien sind für Bewerberinnen und Bewerber unzumutbar

Die Landesvorsitzende des Schleswig-Holsteinischen Richterverbandes, Dr. Christine Schmehl, erklärte hierzu: „Fachlich hervorragend qualifizierte Richterinnen und Richter könnten zukünftig weder im Zeitpunkt einer Bewerbung noch im Anschluss an eine Auswahlentscheidung des Ausschusses erkennen, nach welchen Kriterien tatsächlich entschieden wird. Denn es bleibt vollkommen offen, was – teilweise – an die Stelle des Bestenprinzips treten soll. Ein in keiner Weise umschriebenes Wahlelement kann aber keine überzeugende Grundlage für Personalentscheidungen bieten. Die resultierende Verunsicherung, was im Einzelfall für oder gegen die betroffenen Personen den Ausschlag gibt, die sich um ein bestimmtes Amt bewerben, ist nicht nur in hohem Maße demotivierend. Auch die Akzeptanz der Ergebnisse unter den Kolleginnen und Kollegen droht signifikant Schaden zu nehmen.

Dies gilt umso mehr, als die Entscheidungen des Richterwahlausschusses keiner Begründung bedürfen.

Ohne nachprüfbare Kriterien und Entscheidungen wird zugleich das verfassungsmäßige Recht unterlegener Bewerberinnen und Bewerber ausgehöhlt, die Einhaltung des Prinzips der Bestenauslese vor einem Gericht überprüfen zu lassen (Artikel 19 Absatz 4 des Grundgesetzes).

Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger darf nicht beschädigt werden

Vor allem aber steht zu befürchten, dass das allgemeine Vertrauen in die Qualität der Rechtsprechung und deren Autorität Schaden nehmen wird. Denn das Funktionieren unseres Rechtsstaats hängt wesentlich auch vom Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in die staatlichen Institutionen ab. Das gilt besonders für die Dritte Gewalt mit ihrer umfassenden Wächterverantwortung. Dieses Vertrauen wächst nicht dadurch, dass Personalentscheidungen auf Gründe gestützt werden, die ungenannt bleiben und sich deshalb dem Verdacht der Willkür aussetzen. Ein solches Verfahren ist vielmehr geeignet, Misstrauen zu säen und Vorurteilen sowie Verschwörungstheorien Vorschub zu leisten.

Der erste Sprecher der Neuen Richtervereinigung in Schleswig-Holstein, Michael Burmeister, dazu: „Wer vor Gericht sein Recht sucht oder sich dort verantworten muss, muss auf die Qualifikation und Unabhängigkeit der Richterinnen und Richter vertrauen können. Deshalb heißt es im Grundgesetz ausdrücklich, dass uns die Rechtsprechung anvertraut ist. Dieses Vertrauen braucht eine Grundlage, die jeden bösen Schein vermeidet. Der jetzt gegen alle Kritik eingebrachte Gesetzentwurf untergräbt aber die Legitimität der Rechtsprechung, weil er bei der Einsetzung des richterlichen Personals das Tor öffnet für sachfremde Einflüsse, ohne dass dies im Übrigen nachprüfbar und damit korrigierbar wäre. Letztlich könnten dann auch solche Richterinnen und Richter berufen werden, die sich nach objektiven Kriterien gerade nicht als bestgeeignet erweisen oder nach der Beurteilungslage sogar als ungeeignet angesehen werden. Der damit unvermeidbare Schein einer politischen Einflussnahme wäre katastrophal.“

Sofern die Bestenauslese mit zusätzlichen klaren und niedergelegten Kriterien weiter verfeinert werden kann, beteiligen der Schleswig-Holsteinische Richterverband und die Neue Richtervereinigung (NRV) sich aber gern an entsprechenden Untersuchungen, Diskussionen und gegebenenfalls auch an Reformen. Eine – auch nur teilweise – Aushöhlung des Prinzips der Bestenauslese lehnen wir hingegen entschieden ab.

Dr. Christine Schmehl

Michael Burmeister

Vorsitzende des Schleswig-Holsteinischen Richterverbandes

Erster Sprecher der Neuen Richtervereinigung (NRV) in Schleswig-Holstein