Strafverfolgung in Schleswig-Holstein: Ein Dreiviertel-Rechtsstaat genügt nicht!
Seit Jahren kennt die Strafjustiz diese Entwicklung: Steigende Fallzahlen und komplexere Ermittlungsverfahren. Die Auslandsbezüge nehmen zu, Unmengen von digitalen Beweismitteln sind auszuwerten. Das drückt die Staatsanwaltschaften auch in Schleswig-Holstein an die Wand. Hinzu kommen fachlich fragwürdige neue Gesetze, wie zuletzt das ohne ausreichenden Vorlauf in Kraft getretene Cannabisgesetz mit seiner Amnestieregelung und zahlreichen neuen Prüfungspflichten.
„Diese Entwicklung ist nicht mehr zu verantworten“, fasste die Vorsitzende des Schleswig-Holsteinischen Richterverbandes Dr. Christine Schmehl die Situation zusammen. „Der Landesregierung ist die Lage der Strafjustiz seit langem bekannt. Das Personal reicht hinten und vorne nicht, um Straftaten, die in unserem Land begangen werden, vollständig und zügig zu ermitteln und die Beschuldigten der gegebenenfalls gebotenen Sanktion zuzuführen. Der wachsende Berg unerledigter Verfahren spricht für sich. Am Jahresende 2023 waren in unserem Land 31.581 Ermittlungsverfahren gegen namentlich bekannte Beschuldigte offen, in denen also weder Anklage erhoben noch das Verfahren eingestellt wurde. Die Landesregierung hat in ihrem Koalitionsvertrag versprochen, für das nötige Personal zur Strafverfolgung zu sorgen – doch davon sind wir weiter entfernt denn je. Selbst nach den offiziellen – längst überholten – Bedarfsberechnungen fehlen in Schleswig-Holstein inzwischen landesweit 71 von 290 erforderlichen Staatsanwältinnen und Staatsanwälten, also ein volles Viertel. Damit hat der Mangel eine neue Dimension erreicht, die nicht mehr zu verantworten ist. Nach dem Grundgesetz zählt die Strafverfolgung zum Kern des Rechtsstaats und damit zu den obersten staatlichen Aufgaben, die nicht zur Disposition der Politik stehen. Ein Dreiviertel-Rechtsstaat genügt nicht!“