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Stellungnahme zum Entwurf eines Gesetzes zur Zulassung von Verfassungsbeschwerden (LT-Drucksache 19/719)

Der Schleswig-Holsteinische Richterverband bedankt sich für die Anhörung und nimmt zu dem Gesetzentwurf der Abgeordneten des SSW (LT-Drucksache 19/719) wie folgt Stellung:

Die Verfassungsbeschwerde dient dem Individualrechtsschutz der Bürger gegen Grundrechtsverletzungen. Diese Grundrechte sind keine Programmsätze, sondern unmittelbar geltendes justitiables Recht. Gerichtlicher Rechtsschutz im Hinblick auf Grundrechtsverletzungen ist zwar schon durch die Fachgerichte zu gewähren. Doch gerade erst durch eine verfassungsgerichtliche Durchsetzbarkeit im Wege der Ver-fassungsbeschwerde erlangen die Grundrechte ihre tatsächliche Wirksamkeit.

Landesverfassungen mit eigenen Grundrechtskatalogen und eigener Verfassungs-gerichtsbarkeit sind Ausdruck der Eigenstaatlichkeit und Verfassungsautonomie der Länder. Wenn sich eine Landesverfassungsordnung nicht nur zu Grundrechten, sondern auch zu einer Landesverfassungsgerichtsbarkeit bekennt, erscheint es inkonsequent, den in der Landesverfassung anerkannten Grundrechten nicht auch mit einer eigenen Individualverfassungsbeschwerde vor dem Landesverfassungsgericht zur effektiven Wirksamkeit zu verhelfen. Der Bedeutung der Landesverfassung und dem Grundrechtsschutz wird insbesondere nicht gerecht, dass derzeit kein verfas-sungsgerichtlicher Individualrechtsschutz für solche Landesgrundrechte besteht, die keine Entsprechung im Grundrechtekatalog des Grundgesetzes haben.

Bei einer Einführung einer Landesverfassungsbeschwerde sollte sich deren Statthaf-tigkeit an der Entscheidung des BVerfG vom 15.10.1997 (NJW 1998, 1296) orientie-ren. Der Gegenstand der Verfassungsbeschwerde ist auf Akte der öffentlichen Gewalt „des Landes“ zu beschränken. Die Verfassungsbeschwerde darf also nicht statthaft sein, soweit die öffentliche Gewalt Bundesrecht ausführt oder anwendet, es sei denn ein Gericht des Landes wendet Prozessrecht des Bundes an.1

Sinnvoll ist es auch, zu vermeiden, dass es zu Parallelverfahren wegen desselben Beschwerdegegenstandes vor dem Landesverfassungsgericht und dem Bundesverfassungsgericht kommt.2 Mit einer derartigen Regelung werden auch divergierende Entscheidungen beider Verfassungsgerichte in derselben Sache vermieden. Eine solche Regelung wäre ressourcenschonend.

Zudem dürfte es angezeigt sein, dem Landesverfassungsgericht die Einrichtung von Kammern zu ermöglichen, in denen in kleinerer Besetzung in einem vereinfachten Verfahren über unzulässige oder offensichtlich unbegründete Verfassungsbeschwerden entschieden wird.3 Es kann darüber hinaus auch erwogen werden, das vereinfachte Verfahren vor der Kammer bei offensichtlich begründeten Verfassungsbeschwerden oder bei Anträgen auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zuzulas-sen. Eine solche Regelung würde zu einer Bewältigung von Verfassungsbeschwerden in angemessener Zeit sicherlich beitragen.

Für den Fall der Einführung einer Individualverfassungsbeschwerde muss das Landesverfassungsgericht diese Aufgabe personell und sachlich leisten können. Vor dem Hintergrund einer nicht unwahrscheinlichen relevanten Mehrbelastung könnte unter Umständen die Ehrenamtlichkeit der Verfassungsrichter in Frage gestellt werden. Vorzugswürdig erscheint dem Schleswig-Holsteinischen Richterverband indes, vorrangig eine Stellenaufstockung im Bereich der wissenschaftlichen Mitarbeiter zu erwägen. Derzeit teilen sich drei Richter im Wege der Teilabordnung eine Stelle (0,1 AKA Pressesprecherin und 0,9 AKA die wissenschaftlichen Mitarbeiter). Die Begrün-dung des Gesetzesentwurfs weist zwar auf einen erwartenden erhöhten Personalbedarf hin. Jedoch sollte vor einem Gesetzesbeschluss Klarheit darüber bestehen, welche neuen Haushaltsmittel für die Zulassung einer Landesverfassungsbeschwerde voraussichtlich erforderlich sein werden. Keinesfalls darf eine etwaige Aufstockung des Personals oder der Sachmittel beim Landesverfassungsgericht zu Lasten des Justizhaushaltes gehen kann. Ein verbesserter Rechtsschutz im Bereich der Grundrechte darf nicht durch einen geringeren Rechtsschutz im Bereich der ordentlichen Gerichtsbarkeit und der Fachgerichte erkauft werden.


1Vgl. z.B. die Formulierung in Art. 53 Verfassungsgerichtshofgesetz NRW in der ab 01.01.2019 geltenden Fassung: „(1) Jeder kann mit der Behauptung, durch die öffentliche Gewalt des Landes in einem seiner in der Landesverfassung enthaltenen Rechte verletzt zu sein, Verfassungsbeschwerde zum Verfassungsgerichtshof erheben, soweit nicht Verfassungsbeschwerde zum Bundesverfassungsgericht erhoben ist oder wird. (2) Die Verfassungsbeschwerde ist unzulässig, soweit die öffentliche Gewalt des Landes Bundesrecht ausführt oder anwendet, es sei denn, die Anwendung betrifft Prozessrecht des Bundes durch ein Gericht des Landes.“

2Vgl. z.B. die Formulierung in Art. 53 Abs. 1 Verfassungsgerichtshofgesetz NRW in der ab 01.01.2019 geltenden Fassung in Fußnote 1.

3Vgl. z.B. die Formulierungen in Art. 58 und 59 Verfassungsgerichtshofgesetz NRW in der ab 01.01.2019 geltenden Fassung, hier nur Art. 58 Abs. 2 S. 1 wiedergegeben:„Über die Zurückweisung einer Verfassungsbeschwerde als unzulässig oder offensichtlich unbegründet kann in einem vereinfachten Verfahren entschieden werden.“