Stellungnahme zum Entwurf eines Maßregelvollzugsgesetzes
Der Schleswig-Holsteinische Richterverband bedankt sich für die Anhörung und
nimmt zu dem Entwurf der Landesregierung für ein Maßregelvollzugsgesetz
(MVollzG) (Stand: 19.06.2019) folgendermaßen Stellung:
I. Grundsätzliches
Die Zielrichtung des vorliegenden Entwurfs eines Maßregelvollzugsgesetzes
(MVollZG) ist zu begrüßen. Die Betonung der Behandlungsorientierung des Maßregelvollzuges
in § 2 des Entwurfs, die Erweiterung der Planung neben der Therapieplanung
auf einen Eingliederungsplan nach § 7 des Entwurfs und die Vereinfachung
von Vollzugslockerungen in §§ 31 ff. des Entwurfs sind positive Neurungen des Vollzugsrechts.
Außerdem ist es sachgerecht, die Regelungen zu Besuchen und zu
Durchsuchungen den jüngeren Vollzugsgesetzen anzupassen. Hervorzuheben ist
zudem, dass differenzierte Kostenregelungen in §§ 44, 45 des Entwurfs vorgesehen
werden, die auch eine Kostenbeteiligung der untergebrachten Menschen vorsehen.
Kritisch anzumerken ist, dass teilweise die Bezeichnungen nicht einheitlich sind, da
mitunter die Begrifflichkeit „Patientinnen und Patienten“ statt „untergebrachter Menschen“
verwendet wird. Eine gleichbleibende Terminologie ist vorzugswürdig.
Die Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu freiheitsentziehenden
Maßnahmen in Form von Fixierungen (BVerfG, Urt. vom
24.07.2019 – 2 BvR 309/15, 2 BvR 502/16) in § 29 des Entwurfs ist notwendig; die
vorgesehene intensive Betreuung im Fall einer Fixierung ist grundsätzlich richtig. Die
Regelung ist jedoch in Teilen zu kritisieren. Auch die Regelung zur ärztlichen
Zwangsmaßnahme ist teilweise zu beanstanden.
Mit der Neufassung des Maßregelvollzugsgesetzes wird dieses Vollzugsgesetz umfassend
modernisiert und entspricht inhaltlich sowie strukturell den (jüngeren) weiteren
Vollzugsgesetzen des Landes Schleswig-Holstein. Bewährte Regelungen des
Schleswig-Holsteinischen Maßregelvollzugesetzes vom 19.01.2000 (zuletzt geändert
durch Gesetz vom 07.05.2015 (MVollzG 2000)) werden dabei im wesentlichen beibehalten.
Das Vollzugsrecht des Landes Schleswig-Holstein erscheint trotz aller Kritik
im Einzelnen damit kohärent und auf der Höhe der Zeit. Zusammenfassend lässt
sich feststellen, dass die Ziel-und Schwerpunktsetzung des Entwurfes des Maßregelvollzugsgesetzes
sachlich zutreffend ist. Zu fordern ist aber, dass die notwendigen
Mittel für die Umsetzung der Ziele des Entwurfs zur Verfügung gestellt werden.
Dies gilt primär für den Vollzugsbereich selbst, aber auch für die Justiz, da insbesondere
die notwendige Sicherung der Grundrechte der untergebrachten Menschen
nicht zum „Nulltarif“ zu haben ist.
II. Im Einzelnen
Die Stellungnahme bezieht sich auf die wesentlichen Änderungen der Regelungen
zum Maßregelvollzug, wobei ein besonderer Schwerpunkt – in Nr. III der Stellungnahme
– bei der Regelung in § 29 des Entwurfes zu den besonderen Sicherungsmaßnahmen,
vor allem zu den Fixierungen, liegt.
1. Betonung der Behandlungsorientierung in § 2 Abs. 1 des Entwurfs
Zwar ist schon in § 5 Abs. 2 S. 1 des MVollzG 2000 ausdrücklich ausgeführt, dass
ein untergebrachter Mensch einen Anspruch auf die notwendige Behandlung hat,
dieses wird aber in § 2 Abs. 1 S. 1 des Entwurfs als Ziel des Maßregelvollzugs ausdrücklich
in den Fokus gestellt, indem der Maßregelvollzug dahingehend ausgerichtet
werden soll, die untergebrachten Menschen durch Behandlung und Betreuung
(Therapie) soweit wie möglich zu heilen. Hierdurch ist diese Zielbestimmung nunmehr
wesentlicher Maßstab für sämtliche Maßnahmen im Vollzug sowie für die Auslegung
des Gesetzes. Dieses ist zum einen im Interesse der untergebrachten Menschen
und zum anderen zur größtmöglichen Annäherung an die weiteren Vollzugsziele
in § 2 Abs. 1 S. 2, S. 3 des Entwurfs – Vorbereitung einer selbständigen Lebensführung
der untergebrachten Menschen außerhalb einer Einrichtung des Maßregelvollzuges
und Erreichen der Befähigung ein möglichst autonomes, in der Gemeinschaft
eingegliedertes Leben in Freiheit zu führen sowie der Sicherung des
Schutzes der Allgemeinheit – sachgerecht. Die gesetzliche Zielbestimmung ist folglich
positiv hervorzuheben.
2. Einführung eines Eingliederungsplanes nach § 7 des Entwurfs
Folgerichtig und sachlich zutreffend ist auch die Implementierung einer Eingliederungsplanung
neben der schon nach der gegenwärtigen Rechtslage vorgesehenen
Therapieplanung nach § 7 Abs. 1, 2 des Entwurfes. Die Planung der Therapie und
der Eingliederung ist nach § 7 Abs. 1 S. 1 des Entwurfes binnen einer Frist von
sechs Wochen ab dem Zeitpunkt des Eintritts der Rechtskraft der die Unterbringung
im Maßregelvollzugs anordnenden Entscheidung unter Berücksichtigung des Geschlechts,
der Persönlichkeit, des Alters, des Entwicklungsstandes, der Lebensverhältnisse,
der Störung des untergebrachten Menschen und auf der Grundlage eines
Diagnoseverfahrens zu erstellen, wodurch sichergestellt wird, dass möglichst frühzeitig
auf einer umfassenden Grundlage eine zielführende Planung erfolgt. Eine derartige
Ausrichtung des Maßregelvollzugs ist ausdrücklich zu begrüßen, gerade auch
deswegen, weil hierdurch die Erreichung der Vollzugsziele nach § 2 des Entwurfs
erleichtert werden kann.
3. Ärztliche Zwangsmaßnahme, § 9 des Entwurfs
a)
Nach § 9 Abs. 2 Nr. 5 des Entwurfs setzt eine ärztliche Zwangsbehandlung voraus,
dass „das Gericht zustimmt“.
Die gesetzliche Formulierung einer „Zustimmung“ ist verfehlt. Im Bereich der Freiheitsentziehung
sowie der sie begleitenden Maßnahmen, welche auf der Basis des
öffentlichen Rechtes erfolgen, handelt es sich stets um Entscheidungen, die von
Staats wegen bei Erfüllung gewisser Tatbestände ergehen. Anders als im Bereich
des bürgerlichen Rechtes erfolgt dementsprechend keine Genehmigung der Entscheidung
eines dazu berufenen Vertreters, sondern eine eigenständige Anordnung
(vgl. z.B. Grotkopp in: Bahrenfuss, 3. Aufl., § 323 FamFG, Rn. 5.). Das Gericht trifft
also selbst die originäre richterliche Entscheidung über die Anordnung der ärztlichen
Zwangsbehandlung. Dies muss auch im Gesetzeswortlaut zum Ausdruck kommen.
b)
Hinsichtlich des Erfordernisses der gerichtlichen Zustimmung zu einer ärztlichen
Zwangsmaßnahme gibt § 9 des Entwurfs nicht vor, welche Verfahrensvorschriften
anzuwenden sind. Dies istt auch nicht erforderlich, weil über § 121b StVollzG das
FamFG Anwendung finden dürfte.
Insofern erscheint jedoch die Vorschrift des § 35 des Entwurfs über die Regelungen
von Rechtsbehelfen, die auf die §§ 109 bis 121 StVollzG verweist, nicht mit §§ 121a
und 121b StVollzG vereinbar, soweit es um Maßnahmen geht, die einer vorherigen
gerichtlichen Anordnung oder Genehmigung bedürfen (z.B. ärztliche Zwangsmaßnahme,
z.B. aber auch Fixierung).
4. Ausweitung der Besuchsmöglichkeiten durch § 13 des Entwurfs
Im Vergleich zu § 13 Abs. 1 MVollzG 2000 wird die Gesamtbesuchsdauer von mindestens
einer Stunde auf mindestens vier Stunden monatlich angehoben, was der
Intention des Entwurfes, die Eingliederung der untergebrachten Menschen in die
Gesellschaft möglichst schon im Maßregelvollzug vorzubereiten, entspricht. Hierdurch
wird der zutreffenden Erkenntnis Rechnung getragen, dass während des Vollzugs
die Außenkontakte aufrechterhalten und – falls möglich – intensiviert werden
müssen. Neben den erweiterten Vollzugslockerungen, auf die noch einzugehen sein
wird, kann auch die Ausweitung der Besuchsmöglichkeiten stabilisierend für das soziale
Umfeld der untergebrachten Menschen und damit positiv für den Verlauf der
Behandlung im Maßregelvollzug und die Eingliederung nach dem Vollzug in die Gesellschaft
wirken.
5. Ergänzung der Durchsuchungsmaßnahmen in § 28 des Entwurfs
Zunächst wird in § 28 Abs. 1 des Entwurfs die Regelung zur allgemeinen oder einzelfallbezogenen
Durchsuchung der Sachen, der Kleidung sowie der Unterbringungsräume
aus § 6 Abs. 1 MVollzG 2000 beibehalten. Dieses gilt insbesondere hinsichtlich
der Voraussetzungen entsprechender Maßnahmen, die bei dem Verdacht der
Gefährdung der Ziele des Maßregelvollzugs oder der Sicherheit in der Einrichtung
oder zur Abwehr einer schwerwiegenden Störung der Ordnung der Einrichtung möglich
sind.
Auch die Durchsuchung der untergebrachten Menschen ist in § 28 Abs. 2 und Abs. 3
des Entwurfs der bisherigen Rechtslage entsprechend geregelt. Eine Durchsuchung
der Person ist nach § 28 Abs. 2 des Entwurfs nur zulässig, wenn Tatsachen dafür
sprechen, dass durch den untergebrachten Menschen eine erhebliche Gefahr für die
Sicherheit in der Einrichtung des Maßregelvollzugs oder eine erhebliche Selbstgefährdung
droht.
Nach § 28 Abs. 3 des Entwurfs ist unter den Voraussetzungen von § 28 Abs. 2 des
Entwurfs eine mit einer teilweisen oder vollständigen Entkleidung verbundene körperliche
Durchsuchung zulässig, wobei eine solche in einem geschlossenen Raum
stattzufinden hat und die Durchsuchung weiblicher Personen durch weibliches und
die Durchsuchung männlicher Personen durch männliches Personal durchzuführen
ist.
Die Regelungen zur Durchsuchung werden in § 28 Abs. 4 des Entwurfs dahingehend
ergänzt, dass durch die Leitung der Einrichtung des Maßregelvollzugs allgemein angeordnet
werden kann, dass bei der Aufnahme und nach einer Abwesenheit von der
Station oder der Einrichtung der untergebrachte Mensch durchsucht oder
abgesondet werden kann. Diese sehr weite Regelung dürfte nicht zuletzt mit Blick
auf die einschlägige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. BVerfG,
Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 5. November 2016 -2 BvR 6/16 ,
Rn. 36; zuletzt BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 27.
März 2019 -2 BvR 2294/18 -, Rn. 20) verfassungsrechtlich problematisch sein und
sollte konkreter, d.h. restriktiver formuliert werden. Die Möglichkeit, derartige allgemeine
Anordnungen zu erlassen, ist grundsätzlich nicht zu beanstanden, wenn in
diesen Anordnungen schon mit Blick auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit
Ausnahmen, in denen von Durchsuchungen abgesehen werden kann, vorgesehen
werden. Diese Restriktionsmöglichkeit sollte sich auch in der gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage
widerspiegeln.
6. Veränderungen bei den Vollzugslockerungen nach § 31 ff. des Entwurfs
Der Entwurf zeichnet zu Recht die Rechtsprechung des OLG Schleswig (Beschluss
vom 9. April 2008 -2 VollzWs 42/08) in § 31 Abs. 1 Nr. 1 nach und erweitert im Vergleich
zu § 17 Abs. 1 Nr. 1 MVollzG 2000 die Verpflichtung zur Lockerung des Vollzugs,
indem Vollzugslockerungen zu gewähren sind, wenn hierdurch die Ziele des
Maßregelvollzugs nicht gefährdet werden. Es ist mithin im Vergleich zur gegenwärtigen
Rechtslage nicht mehr erforderlich, dass durch die Vollzugslockerungen die Ziele
des Maßregelvollzugs gefördert werden. In Anbetracht der Neujustierung des
Maßregelvollzugs ist dieses folgerichtig und geeignet, die untergebrachten Menschen
auf ein Leben außerhalb des Maßregelvollzugs besser vorzubereiten. Denn
eine Vorbereitung auf die Zeit nach dem Maßregelvollzug kann nur gelingen, wenn
der untergebrachte Mensch schon während des Vollzuges in Form von Vollzugslockerungen
außerhalb der Einrichtungen Erfahrungen machen kann und dieses möglichst
mit zunehmender Intensität im Verlauf des Vollzugs, d.h. in einem zunehmenden
Umfang.
7. Regelungen zu den Kosten der Unterbringung in §§ 44 f. des Entwurfs
Der Entwurf sieht im Gegensatz zu der gegenwärtigen Rechtslage in § 26 MVollzG
2000 eine differenzierte Ausgestaltung des Kostenrechts vor, um die Kostenerstattung
bzw. Budgetierung im Rahmen einer nach § 3 Abs. 1 a, Abs. 1 b MVollzG 2000
bzw. nach § 5 Abs. 2, Abs. 3 des Entwurfs möglichen Beleihung geeigneter privatrechtlich
organisierter Einrichtungen oder auch die Übertragung der Aufgabe an geeignete
psychiatrischen Kliniken oder Entziehungsanstalten in öffentlich-rechtlicher
Trägerschaft zu erleichtern und andere Kostenträger gegebenenfalls zu beteiligen.
Nach § 44 Abs. 1 des Entwurfs hat das Land Schleswig-Holstein die Kosten zu tragen,
soweit nicht ein Sozialleistungsträger zur Erstattung der Kosten vorrangig verpflichtet
ist oder die untergebrachte Person – besser wäre hier einheitlich vom untergebrachten
Menschen zu sprechen – nicht zu den Kosten beizutragen hat. Gleichzeitig werden in § 44 Abs. 2 und Abs. 3 des Entwurfs Regelungen geschaffen, um
durch eine Budgetierung bzw. die Festsetzung von Stellenplänen eine hinreichende
Versorgung der untergebrachten Menschen in allen Einrichtungen sicherzustellen,
unabhängig davon, wie diese organisiert sind bzw. in wessen Trägerschaft diese
stehen.
Nach § 45 Abs. 1 des Entwurfs ist für die Zeit des Maßregelvollzugs von den untergebrachten
Menschen, die sich in einem freien Beschäftigungsverhältnis befinden,
die sich selbst beschäftigen, die anderweitiges Vermögen besitzen oder die über
regelmäßige Einkünfte verfügen, ein Kostenbeitrag zu erheben. Nach § 45 Abs. 2
des Entwurfs ist dieser in der Höhe des Betrages zu zahlen, der nach § 17 Abs. 1 Nr.
4 des SGB IV durchschnittlich zur Bewertung der Sachbezüge durch das Bundesministerium
für Arbeit und Soziales festgesetzt worden ist. Eine solche Vorgehensweise
ist grundsätzlich zu begrüßen, da auch die Verpflichtung zur anteiligen Kostentragung
bei einer entsprechenden Leistungsfähigkeit der Vorbereitung auf die
(Wieder-)Eingliederung in die Gesellschaft dienen kann.
Schließlich ist es aus fiskalischen Gründen ebenfalls sachgerecht, zur Kostenreduzierung
originär verpflichtete Leistungsträger oder die untergebrachten Menschen bei
einer entsprechenden Leistungsfähigkeit in Anspruch zu nehmen.
III. Reform der Anwendung besonderer Sicherungsmaßnahmen gemäß § 29
des Entwurfs
1. Allgemeines
In § 29 Abs. 2 des Entwurfs werden die schon in § 7 Abs. 2 MVollzG 2000 genannten
besonderen Sicherungsmaßnahmen aufgenommen und insoweit präzisiert, als
die Fixierung durch mechanische Hilfsmittel einschließlich der medizinisch erforderlichen
Medikation in § 29 Abs. 2 Nr. 5 des Entwurfs verselbständigt wird. Hierdurch
wird der besonderen Bedeutung der Fixierung als wesentlicher Eingriff in die Freiheitsrechte
untergebrachter Menschen in dem Entwurf Rechnung getragen. Hinsichtlich
der Voraussetzungen der besonderen Sicherungsmaßnahmen werden dabei die
gegenwärtig bestehenden Regelungen beibehalten und wird eine strikte Verhältnismäßigkeitsprüfung
verlangt.
2. Entscheidung des BVerfG zur 5-Punkt-und 7-Punkt-Fixierung
Das Bundesverfassungsgericht hat am 24.07.2018 (Aktenzeichen: 2 BvR 309/15 und
502/16) entschieden, dass Fixierungsmaßnahmen (jedenfalls 5-bzw. 7-Punkt-
Fixierungen) von nicht nur kurzfristiger Dauer, die im Rahmen einer öffentlich-
rechtlichen Unterbringung nach den jeweiligen Landesgesetzen (PsychKG, UBG)
erfolgen, dem Richtervorbehalt unterliegen. Um den Schutz des von einer freiheitsentziehenden
Fixierung Betroffenen sicherzustellen, bedarf es eines täglichen richterlichen
Bereitschaftsdienstes, der den Zeitraum von 6:00 Uhr bis 21:00 Uhr abdeckt.
Auch hat das BVerfG (für die vom bundesverfassungsgerichtlichen Verfahren
unmittelbar betroffenen Bundesländer Baden-Württemberg und Bayern) angeordnet,
dass in der Übergangszeit bis zur Schaffung einer gesetzlichen Grundlage in den
PsychKG bzw. UBG der beiden Bundesländer der Richtervorbehalt aus Art. 104 Abs.
2 GG unmittelbar anzuwenden sei.
Aus dem Urteil ist ein dringender gesetzgeberischer Handlungsbedarf erwachsen.
Die Entscheidung ist zwar zum Recht der öffentlich-rechtlichen Unterbringung ergangen.
Die Ausführungen in ihrer Begründung sind jedoch grundsätzlicher Natur
und beanspruchen für alle Personen, denen aufgrund richterlicher Anordnung die
Freiheit entzogen wird – und damit vor allem auch im Maßregelvollzug – Geltung.
Insofern ist zu begrüßen, dass nun endlich Regelungen für Fixierungen im Maßregelvollzugsgesetz
geschaffen werden sollen. Zu fordern ist aber, dass diese Neuregelungen
mit dem systematischen Gesamtgefüge der bereits existierenden rechtlichen
Grundlagen in Einklang stehen.
3. Begriff der Fixierung
§ 29 des Entwurfs enthält keine Legaldefinition der Fixierung. Lediglich aus der Begründung
des Entwurfs ergibt sich, dass unter dem Begriff der Fixierung alle Formen
der Fixierung durch mechanische Hilfsmittel zu verstehen sind und die Maßnahme
entsprechend der Erfordernisse des Einzelfalls eine medikamentöse Sedierung sowie
eine Thromboseprophylaxe beinhaltet (S. 54 des Entwurfs). Damit beschränkt
sich der Entwurf nicht darauf, die Entscheidung des BVerfG vom 24.07.2018 (Aktenzeichen:
2 BvR 309/15 und 502/16) lediglich im Hinblick auf die dort entschiedenen
Fallkonstellationen der 5-Punkt-und 7-Punkt-Fixierungen umsetzen, sondern überträgt
die Entscheidung auf alle mechanischen Fixierungen (z.B. 1-Punkt-Fixierung).
Zu einer Rechtsanwenderfreundlichkeit würde es indes beitragen, wenn das Gesetz
selbst eine klarstellende gesetzliche Begriffsbestimmung der Fixierung enthält. Auf
diese Weise kann auch das Missverständnis vermieden werden, dass die
Legaldefinition der Fixierung aus § 171a StVollzG herangezogen wird.
4. Erfordernis eines Richtervorbehalts bei sedierender Medikation
Während § 29 Abs. 5 des Entwurfs den Richtervorbehalt für die Fixierung bestimmt,
ist ein entsprechender Richtervorbehalt bei ärztlicher Anordnung einer sedierenden
Medikation im Sinne von § 29 Abs. 2 Nr. 6 des Entwurfs nicht bestimmt. Wenn aber
eine sedierende Medikation Wirkungen wie eine Fixierung entfaltet, ist eine unterschiedliche
Handhabung zum Richtervorbehalt nicht gerechtfertigt.
5. Selbstgefährdung und freier Wille
Besondere Sicherungsmaßnahmen können nach § 29 Abs. 1 des Entwurfs dann
angeordnet werden, wenn die gegenwärtige Gefahr besteht, dass der untergebrachte
Mensch gegen Personen gewalttätig wird, sich selbst tötet oder verletzt oder die
Einrichtung ohne Erlaubnis verlassen wird.
Die Regelung beachtet nicht in ausreichendem Maße die hohen grundgesetzlichen
Anforderungen eines gerechtfertigten Eingriffs in das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit.
Das BVerfG hat in der Entscheidung vom 24.07.2018 (Rn. 73 f.) ausgesprochen:
„Die Freiheit der Person ist ein so hohes Rechtsgut, dass sie nur aus besonders gewichtigem
Grund angetastet werden darf (…). Die Einschränkung dieser Freiheit ist
daher stets der strengen Prüfung am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu unterziehen
(…). Dies gilt in besonderem Maße für präventive Eingriffe, die nicht dem
Schuldausgleich dienen. Sie sind im Allgemeinen nur zulässig, wenn der Schutz anderer
oder der Allgemeinheit dies erfordert (…). Allerdings kann eine Einschränkung
der Freiheit der Person auch mit dem Schutz des Betroffenen selbst gerechtfertigt
werden. … Die Fürsorge der staatlichen Gemeinschaft kann daher die Befugnis einschließen,
den psychisch Kranken, der infolge seines Krankheitszustands und der
damit verbundenen fehlenden Einsichtsfähigkeit die Schwere seiner Erkrankung und
die Notwendigkeit von Behandlungsmaßnahmen nicht zu beurteilen vermag oder
trotz einer solchen Erkenntnis sich infolge der Krankheit nicht zu einer Behandlung
entschließen kann, zwangsweise in einer geschlossenen Einrichtung unterzubringen
und auch zu fixieren, wenn sich dies als unumgänglich erweist, um eine drohende
gewichtige gesundheitliche Schädigung von dem Kranken abzuwenden.“
Die Entscheidung des BVerfG zur Fixierung macht – wie auch schon vorangegangene
Entscheidungen des BVerfG z.B. zur Unterbringung und zur Zwangsbehandlung
– deutlich, dass das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit auch die Selbstschädigung,
sei es in der Form der „Freiheit auf Krankheit“, sei es in der Form der „Freiheit
zur Selbstverletzung“ umfasst. Das insoweit angesprochene Rechtsgut unterliegt
der Disposition des Betroffenen; dem Staat steht es in diesem Fall nicht zu, den zur
freien Willensbildung fähigen Betroffenen vor sich selbst zu schützen. Insofern ist
eine Fixierung gegen den freien Willen des Betroffenen jedenfalls dann ausgeschlossen,
wenn allein eine Selbstgefährdung vorliegt.
Unter dem aus dem grundgesetzlichen Schutz der allgemeinen Handlungsfreiheit
herzuleitenden Primat der Willenshoheit ist es demzufolge geboten, die Fixierung bei
Vorliegen einer Gefahr zur Selbstschädigung nur zuzulassen, wenn der Betroffene
zu einer freien Willensbildung nicht in der Lage ist.
6. Qualifikation des die besondere Sicherungsmaßnahme anordnenden
Arztes
Zur Beteiligung des Arztes vor und nach der Fixierungsanordnung hat das BVerfG in
seiner Entscheidung vom 24.07.2018 formuliert (Rn. 83): „Zur Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes
unabdingbar ist die Anordnung und Überwachung der Fixierung
in einer geschlossenen psychiatrischen Einrichtung untergebrachter Personen
durch einen Arzt.“
§ 29 Abs. 4 des Entwurfs bestimmt zwar nun, dass eine besondere Sicherungsmaßnahme
nach dessen Abs. 2 (und damit auch die Fixierung) nur durch einen Arzt angeordnet
werden darf. Eine bestimmte Qualifikation des Arztes legt der Entwurf indes
nicht fest. Dies erscheint nicht ausreichend. Der Entwurf sollte klarstellen, dass
die Anordnung nur ein Arzt für Psychiatrie bzw. ein Arzt mit Erfahrung auf dem Gebiet
der Psychiatrie erteilen darf.
7. Höchstdauer von 3 Wochen
Nach § 29 Abs. 5 S. 2 des Entwurfs setzt die gerichtliche Anordnung der Fixierung
einen schriftlichen Antrag voraus. Weiterhin gibt § 29 Abs. 5 S. 3 des Entwurfs vor,
dass im Antrag die voraussichtliche Dauer der Maßnahme zu begründen sei, wobei
die Höchstdauer von drei Wochen nicht überschritten werden dürfe.
Abseits dessen, dass die sprachliche Ausgestaltung nicht geglückt sein dürfte, ist
überhaupt nicht nachvollziehbar, aus welchen Gründen heraus der Gesetzgeber für
den Antrag eine Höchstdauer der Fixierung von drei Wochen vorschlägt. In der Entwurfsbegründung
wird auf die Höchstdauer von drei Wochen nicht eingegangen.
8. Gerichtliche Anordnung der Fixierung
Zutreffend wird in § 29 Abs. 5 des Entwurfs formuliert, dass das Gericht die Fixierung
anordnet. Verfehlt ist indes die Formulierung in der Entwurfsbegründung (S. 55),
dass für eine Fixierung die „Zustimmung“ des Gerichts erforderlich sei. Im Bereich
der Freiheitsentziehung sowie der sie begleitenden Maßnahmen, welche – wie hier –
auf der Basis des öffentlichen Rechtes erfolgen, handelt es sich stets um Entscheidungen,
die von Staats wegen bei Erfüllung gewisser Tatbestände ergehen. Anders
als im Bereich des bürgerlichen Rechtes erfolgt dementsprechend keine Zustimmung
bzw. Genehmigung der Entscheidung eines dazu berufenen Vertreters, sondern
eine eigenständige Anordnung (vgl. z.B. Grotkopp in: Bahrenfuss, 3. Aufl., §
323 FamFG, Rn. 5.). Das Gericht trifft also selbst die originäre Anordnungs-
Entscheidung.
9. Zuständigkeit
In der Entwurfsbegründung (S. 55) heißt es, dass der Antrag auf richterliche Entscheidung
bei der zuständigen Strafvollstreckungskammer zu stellen sei. Diese Auffassung
dürfte mit §§ 121a Abs. 1, 121b StVollzG nicht vereinbar sein.
10. Eins-zu-Eins-Betreuung
Gesetzliche Regelungen zur Fixierung im Maßregelvollzug müssen auch die Maßstäbe
des BVerfG zur Gewährleistung einer sogenannten Eins-zu-Eins-Betreuung
durch therapeutisches und pflegerisches Personal beachten. Diese besondere Form
der Begleitung soll sicherstellen, dass der Betroffene in der besonderen Ausnahmesituation der Fixierung mit seiner besonderen Schwere des Eingriffs und der damit
verbundenen Gesundheitsgefahren nicht allein gelassen wird und sich auch nicht
allein gelassen fühlt. Gesetzlich eindeutig muss sich ergeben, dass mit einer Einszu-
Eins-Betreuung ein ständiger und unmittelbarer Kontakt zwischen dem Personal
der Einrichtung und dem Fixierten sichergestellt ist, dass das Personal für den Fixierten
stets erreichbar ist und dass eine Videoüberwachung nicht ausreichend ist. Weiterhin
ist es geboten, bei der Auswahl der Betreuungspersonen nicht hinter den Anforderungen
des BVerfG zurückzubleiben.
Hierbei darf die vom BVerfG formulierte Eins-zu-Eins-Betreuung nicht nur so verstanden
werden, dass neben dem Fixierten stets und ständig eine Person sitzt, die
lediglich eine Kontroll-oder Sicherungsfunktion einnimmt (vgl. S3-Leitlinie „Verhinderung
von Zwang: Prävention und Therapie aggressiven Verhaltens bei Erwachsenen“
der DGPPN vom 10.09.2018, S. 209.). Vielmehr ist eine persönliche, therapeutische
Begleitung durch qualifiziertes Personal, das bei der Bewältigung der Krise hilft und
zur Linderung der negativen Folgen der freiheitsbeschränkenden Maßnahme beiträgt,
erforderlich (vgl. S3-Leitlinie „Verhinderung von Zwang: Prävention und Therapie
aggressiven Verhaltens bei Erwachsenen“ der DGPPN vom 10.09.2018, S.
209.). Nur eine so verstandene Eins-zu-Eins-Betreuung wird der besonderen Schwere
des Eingriffs durch eine Fixierung und den damit verbundenen Gesundheitsgefahren
gerecht.
Nach § 29 Abs. 6 des Entwurfs ist der von einer besonderen Sicherungsmaßnahme
betroffene Mensch in besonderem Maße zu überwachen und betreuen. Bei der Sicherungsmaßnahme
der Fixierung ist zu jedem Zeitpunkt eine Betreuung durch unmittelbaren
Sicht-und Sprechkontakt zu geschultem Einrichtungspersonal sowie eine
kontinuierliche Kontrolle der Vitalfunktionen sicherzustellen. Auf eine unmittelbare
räumliche Anwesenheit kann auf Wunsch des Betroffenen oder in medizinisch begründeten
Ausnahmefällen verzichtet werden; ein ständiger Sicht-und Sprechkontakt
außerhalb des Fixierungsraumes zur fixierten Person ist aufrecht zu erhalten.
Den Anforderungen des BVerfG zur Eins-zu-Eins-Betreuung wird sodann die Regelung,
wonach diese durch „geschultes Einrichtungspersonal“ erfolgen kann, nicht
gerecht. Vielmehr muss gesetzlich klargestellt sein, dass die Eins-zu-Eins-Betreuung
durch mit einem besonderen Abschluss ausgewiesenes therapeutisches und pflegerisches
Personal ausgeführt werden muss. Es liegt auf der Hand, dass anderweitiges
(geschultes) Einrichtungspersonal die vom BVerfG vorgesehene Schutzfunktion gegenüber
dem Fixierten nicht in dem gleichen Maße wahrnehmen kann wie das vom
BVerfG angesprochene, mit einem besonderen Abschluss ausgewiesene therapeutische
und pflegerische Personal. Schließlich geht es doch darum, die Krisenphase
aktiv zu begleiten, frühzeitig etwaige Komplikationen aufgrund der Fixierung zu erkennen
und in einem solchen Fall zeitnah medizinisch und therapeutisch erforderliche
Maßnahmen zu treffen.
Zu Recht wird in der Entwurfsbegründung (S. 56) ausgeführt, dass eine Videoüberwachung
bei der 1-zu-1-Betreuung unzulässig sei. Dies muss indes in den Gesetzeswortlaut
von § 29 Abs. 6 des Entwurfs ausdrücklich aufgenommen werden. Nur
dann wird vermieden, dass in Anwendung von § 40 des Entwurfs doch eine Videoüberwachung
in der Praxis stattfinden könnte.
11. Hinweispflicht
a)
Nach § 29 des Entwurfs ist der untergebrachte Mensch nach Beendigung der Fixierung
auf sein Recht hinzuweisen, die Zulässigkeit der durchgeführten Maßnahme bei
dem zuständigen Gericht überprüfen zu lassen. Diese Hinweispflicht soll allerdings
nur dann bestehen, wenn die Fixierung nicht richterlich angeordnet worden ist. Indes
ist zu berücksichtigen, dass in das Grundrecht auf Freiheit einer fixierten Person
nicht allein durch eine richterliche Anordnung eingegriffen wird, sondern dass dies
auch durch die Art und Weise der Durchführung der Fixierung der Fall sein kann.
Wird zum Beispiel ein Betroffener aufgrund einer richterlichen Anordnung fixiert, wird
er aber nicht Eins-zu-Eins betreut, sollte dem Betroffenen nicht nur die Möglichkeit
nachträglichen Rechtsschutzes eröffnet werden, sondern sollte er über diese Möglichkeit
auch angemessen informiert werden (vgl. hierzu auch § 327 FamFG und
BGH NJW 1999, 3499 zum Verhältnis von präventivem und nachträglichem Rechtsschutz
durch §§ 98, 105 StPO.). Die Rechtsbehelfsbelehrung in dem Beschluss über
die Anordnung der Fixierung ist nicht ausreichend. Die Rechtsbehelfsbelehrung belehrt
nur über die Rechtsmittel gegen die Anordnung der Fixierung. Sie gibt aber keinerlei Hinweise dazu, dass die Art und Weise der Durchführung einer Fixierung
nachträglich gerichtlich überprüft werden kann.
b)
Nach § 29 Abs. 9 des Entwurfs ist der untergebrachte Mensch auf den Rechtsschutz
im Sinne von § 35 des Entwurfs zu verweisen. Jedoch erscheint die Vorschrift des §
35 des Entwurfs über die Regelungen von Rechtsbehelfen, die auf die §§ 109 bis
121 StVollzG verweist, nicht mit §§ 121a und 121b StVollzG vereinbar, soweit es um
Maßnahmen geht, die einer vorherigen gerichtlichen Anordnung bedürfen (z.B. ärztliche
Zwangsmaßnahme, z.B. aber auch Fixierung).
12. Belastung der Justiz
Schon derzeit macht sich die durch die Umsetzung der Entscheidung des BVerfG
vom 24.07.2018 entstandene Mehrbelastung für die Richter an Standorten, in deren
Bezirken sich Kliniken, die die Aufgaben des Maßregelvollzugs wahrnehmen, befinden,
sehr deutlich bemerkbar. Der Entwurf sorgt nun durch die Regelung des Richtervorbehalts
für jedwede Fixierung (also z.B. auch die 1-Punkt-Fixierung) für eine
noch weitergehende Belastung der Richter.
Jedoch übergeht der Entwurf eine solche sicher zu erwartende Belastung der Richterschaft
vollständig und erwähnt sie unter den „Kosten und Verwaltungsaufwand“
überhaupt nicht.
Die Gerichte sind aber nur dann in der Lage, die Vorgaben des BVerfG zu erfüllen,
wenn sie über eine angemessene personelle und sächliche Ausstattung verfügen.
Insofern fordert der Schleswig-Holsteinische Richterverband, dass der Entwurf auch
einen klaren Hinweis auf den Mehraufwand für die Gerichte enthält.