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Stellungnahme zum Entwurf eines Gesetzes zur Änderung polizei- und ordnungsrechtlicher Vorschriften im Landesverwaltungsgesetz (LT-Drucksache 19/2118)

Der Schleswig-Holsteinische Richterverband bedankt sich für die Anhörung und nimmt zu dem Entwurf der Landesregierung für ein Gesetz zur Änderung polizei- und ordnungsrechtlicher Vorschriften im Landesverwaltungsgesetz (LVwGPORÄndG) (LT-Drucksache 19/2118) folgendermaßen Stellung:

I.          Einleitung

Der Entwurf beinhaltet eine Reihe von zum Teil schwerwiegenden Änderungen und Erweiterungen des Gefahrenabwehrrechts der Polizei- und  Ordnungsbehörden in Schleswig-Holstein.

Ein Handlungsbedarf für eine Novellierung des Gefahrenabwehrrecht ist in der Begründung des Gesetzentwurfes überzeugend aufgezeigt worden. Die Anforderungen an die Gewährleistung der inneren Sicherheit seien aufgrund einer verschärften Sicherheitslage angestiegen und dem solle entsprechend der Handlungsempfehlungen, die auf der Ebene der Innenministerkonferenz entwickelt worden sein, sowie entsprechend dem Ergebnis einer Schwachstellenanalyse Rechnung getragen werden. Zugleich sei beabsichtigt, die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts mit seinem Urteil zum Gesetz über das Bundeskriminalamt (BKAG) vom 20.04.2016 (BVerfGE 141, 220) umzusetzen, die Regelungen über die Datenverarbeitung an die datenschutzrechtlichen Vorgaben des novellierten Landesdatenschutzgesetzes anzupassen und entsprechend dem Ratsbeschluss vom 23.06.2008 (2008/615JI) eine effektive Bekämpfung der grenzüberschreitenden Kriminalität zu ermöglichen. Diese Analyse des Handlungsbedarfs erscheint überzeugend.

Was die konkrete Umsetzung dieser Ziele angeht, beschränkt sich der Schleswig-Holsteinische Richterverband mit dieser Stellungnahme auf Gesichtspunkte, die für die Rechtspflege bzw. die Richterschaft von besonderer Bedeutung sind. Von einer Stellungnahme zu der Grundentscheidung, intensivere Grundrechtseingriffe als bisher zuzulassen (z.B. Regelung eines „finalen Rettungsschusses“, Einsatz von Sprengmitteln gegen Personen, elektronische Fußfessel, Nutzung von Bodycams etc.) bzw. auf weitergehende Regelungen zu verzichten (z.B. online-Durchsuchung, Vorratsdatenspeicherung), wird daher abgesehen.  Die vorgeschlagenen Regelungen, einschließlich eines so schwerwiegenden Grundrechtseingriffs wie es der „finale Rettungsschluss“ ist, dürften unter den engen Voraussetzungen, die hier vorgesehen sind, als Ausdruck der Schranken der betroffenen Grundrechte (insbesondere Art. 2 Abs. 2 GG) verfassungsrechtlich zulässig sein, so dass es dem Grunde nach keine verfassungsrechtlich determinierte, sondern eine politische Entscheidung ist, ob von einer solchen Möglichkeit Gebrauch gemacht werden soll oder wie bisher hierauf verzichtet wird.

Zu der vorgesehenen Präzisierung, Erweiterung und Verschärfung grundrechtsrelevanter Regelungen legt der Schleswig-Holsteinische Richterverband vorliegend seine Überlegungen dazu dar, ob die wichtigsten Neuregelungen jedenfalls den Anforderungen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes an angemessene Eingriffsvoraussetzungen genügen, ob soweit wie möglich ein effektiver Rechtsschutz gewährleistet ist und ob Bedenken bezüglich der Vorschriften über die Art und Weise der Datenverarbeitung bestehen.

II.         Angemessene – eingriffsspezifische – Eingriffsvoraussetzungen

Aus der Gesetzesbegründung geht hervor, dass das Spannungsverhältnis zwischen Grundrechten und dem öffentlichen Sicherheitsinteresse gesehen und versucht wurde, anknüpfend an die ausführlich dargelegten aktuellen Erkenntnisse zur Sach- und Rechtslage verhältnismäßige Lösungen zu finden. Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ist hier bei der Prüfung, ob die in Rede stehenden Überwachungs- und Ermittlungsbefugnisse als Ausdruck der Schranken der jeweils betroffenen Grundrechte (Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1, Art. 2 Abs. 2, Art. 13, Art 10  und Art 11 GG) verfassungsgemäß sind, neben dem Grundsatz der Normenklarheit und Bestimmtheit von entscheidender Bedeutung. Unter Berücksichtigung der jeweils betroffenen Grundrechte muss eine Eingriffsbefugnis nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit einem legitimen Ziel dienen und zu dessen Erreichung geeignet, erforderlich und verhältnismäßig im engeren Sinne sein, d.h. die Überwachungs-  und Ermittlungsbefugnisse müssen mit Blick auf das Eingriffsgewicht angemessen ausgestattet sein. Dementsprechend stellt der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz je nach dem Gewicht des Eingriffs auch Anforderungen an Transparenz, individuellen Rechtsschutz und aufsichtliche Kontrolle (vgl. hierzu BVerfG, Urteil vom 20.04.2016, BVerfGE 141, 220). Als Instrumente eines Grundrechtsschutzes durch Verfahren kommen je nach Intensität des Eingriffs ein Richtervorbehalt, eine vernünftige Dokumentation von Eingriffen, eine turnusmäßige Pflichtkontrolle sowie Berichts- und Informationspflichten in Betracht. All dies wurde hier offensichtlich in den Blick genommen.

Bei Betrachtung der im Gesetzentwurf vorgesehenen Grundrechtseingriffe und der dafür gegebenen Begründung wird jedenfalls deutlich, dass die vorstehend dargelegten Kriterien und die dazu einschlägige Rechtsprechung gesehen wurden und versucht wurde, je nach Eingriffsintensität differenzierte materielle Eingriffsvoraussetzungen zu schaffen.

Bei dem mit § 258 LVwG-Entwurf vorgesehenen „finalen Rettungsschuss“ handelt es sich um den denkbar schwersten Eingriff in die Rechte eines Menschen, nämlich in das durch Art. 2 Abs. 2 GG geschützte Recht auf Leben (Art. 2 Abs. 2 GG). Hierfür ist in § 258 LVwG-Entwurf eine ausreichend hohe Hürde vorgesehen, da diese Maßnahme nur zulässig sein soll, wenn sie das einzige Mittel zur Abwehr einer gegenwärtigen Gefahr für Leib oder Leben ist. In der Gesetzesbegründung ist hierzu klargestellt, dass als Leibesgefahr nicht jede Gefahr einer Körperverletzung ausreicht, sondern es um die Gefahr schwerwiegender Schädigungen des Körpers gehen muss. Damit wird anknüpfend an die Regelungen in anderen Bundesländern deutlich, dass diese Maßnahme nur zum Schutz besonders hochwertiger Rechtsgüter und nur bei einer gegenwärtigen Gefahr möglich ist, und auch das nur, wenn das Ermessen hinsichtlich der Möglichkeit staatlichen Schutzes auf Null reduziert ist. Sofern sich der Landesgesetzgeber nach Abwägung der widerstreitenden Gesichtspunkte zu einer solchen Regelung entscheidet, würde sie als Ausdruck des Art. 2 Abs. 2 GG den verfassungsrechtlichen Anforderungen auch zur Verhältnismäßigkeit wohl entsprechen.

Bei weiteren, ebenfalls besonders schwerwiegenden Grundrechtseingriffen zum Zwecke der Gefahrenabwehr, nämlich bei der Observation, dem verdeckten Einsatz technischer Mittel zur Anfertigung von Bildaufnahmen und Aufzeichnungen und dem Einsatzes verdeckter Ermittler (§ 185 LVwG-Entwurf) wird der besonderen Intensität solcher verdeckter Maßnahmen dadurch Rechnung getragen, dass der Einsatz solcher Mittel auf den Schutz hochwertiger Rechtsgüter beschränkt ist und die Maßnahme zur Aufklärung des Sachverhalts „unerlässlich“ sein muss. Bei der Datenerhebung mit diesen Mitteln in oder aus Wohnungen sind die Eingriffsvoraussetzungen nochmals erhöht, indem in § 185 LVwG-Entwurf eine „dringende Gefahr“ vorausgesetzt wird. Es wurde – wie § 186 a LVwG-Entwurf zeigt –, auch darauf geachtet, Einschränkungen der Überwachung für den Fall zu regeln, dass mit ihr Daten erfasst werden, die dem Kernbereich privater Lebensgestaltung zuzurechnen sind. Den Anforderungen der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (Urteil vom 03.03.2004, BVerfGE 109, 279) zu dieser Problematik wird damit Rechnung getragen. Entsprechendes gilt für die Überwachung der Telekommunikation (§ 185 LVwG-Entwurf).

Bei der nach § 181 Abs. 1 Nummer 5 LVwG-Entwurf eingeführten Möglichkeit einer Identitätsfeststellung einer Person, die in öffentlichen Einrichtungen des internationalen Verkehrs sowie auf Durchgangsstraßen angetroffen wird, soll demgegenüber die Identitätsfeststellung bereits dann zulässig sein, wenn dies zum Zwecke der Bekämpfung der grenzüberschreitenden Kriminalität oder Straftaten von erheblicher Bedeutung erforderlich erscheint. Die Regelung solcher Maßnahmen, von denen jeder Nutzer zum Beispiel einer Bundesautobahn jederzeit unabhängig davon betroffen sein kann, ob er einen Anlass hierfür gesetzt hat, ist verfassungsrechtlich unter dem Gesichtspunkt des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes problematisch (vgl. hierzu die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts vom 04.04.2006, BVerfGE 115, 320; vom 11.03.2008, BVerfGE 120, 378; vom 24.07.2015, 1 BvR 2501/13, NVwZ 2015, 1016, 53; vom 18.12.2018, BVerfGE 150, 244). Es handelt sich zwar bei der hier in Rede stehenden Identitätsfeststellung um einen relativ geringen Eingriff, da er jedoch tatbestandlich quasi voraussetzungslos ist, ist angesichts der in den vorstehend zitierten Entscheidungen ausgeführten Grundsätze zu bezweifeln, ob diese Regelung einer verfassungsrechtlichen Überprüfung standhalten würde.

In der vorgenannten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 18.12.2018 (BVerfGE 150, 244, zur automatisierten Kennzeichenerfassung) werden die Kriterien, unter denen anlasslose Kontrollen ausnahmsweise zulässig sind, anhand der automatischen Kennzeichenerfassung aktuell noch einmal beleuchtet. Grundsätzlich bedürfe es nach dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz eines die konkrete Kontrolle rechtfertigenden Grundes, der auf einer hinreichenden Tatsachenbasis beruhe und dem staatlichen Handeln nachprüfbare Grenzen setze. Anlasslose Kontrollen seien jedoch nicht generell ausgeschlossen. Wenn polizeiliche Kontrollen an ein gefährliches oder risikobehaftetes Tun bzw. an die Beherrschung besonderer Gefahrenquellen anknüpften, könne schon darin ein dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz genügender Grund liegen. Die Rechtfertigung für Kontrollen könne dort bereits an der besonderen Verantwortung der Betroffenen gegenüber der Allgemeinheit anknüpfen und bedürfe deshalb eines darüber hinausgehenden Anlasses grundsätzlich nicht. Für automatisierte Kennzeichenkontrollen komme das etwa in Betracht, wenn mit ihnen Gefahren bekämpft würden, die sich gerade aus dem Betrieb der Kraftfahrzeuge ergeben würden, etwa die Durchsetzung der Versicherungspflicht durch Kontrollen zum Auffinden unversicherter Fahrzeuge. Die Lage sei insoweit nicht anders als bei zahlreichen anderen Arten polizeilicher Kontrollmaßnahmen wie bei anlasalos stichprobenartig durchgeführten Straßenverkehrskontrollen oder anlasslosen Kontrollen in weiten Bereichen etwa des Umwelt- oder Wirtschaftsverwaltungsrechts.

Gemessen daran ist die im Gesetzentwurf vorgesehene anlasslose Kontrollmaßnahme unter dem Gesichtspunkt des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes bedenklich, weil die Maßnahme gerade nicht an die spezifischen Gefahren der Nutzung von Kraftfahrzeugen im öffentlichen Straßenverkehr anknüpft und die Eingriffsbefugnis keinen Aufenthalt einer Person gerade in der Nähe einer Bundesgrenze voraussetzt. Es wird damit wohl keine der vom Bundesverfassungsgericht definierten Fallgruppen erfüllt, unter denen anlasslose Kontrollen verhältnismäßig sind.

Es sollte daher erwogen werden, eine den Eingriff rechtfertigende Risikolage entsprechend der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts im Gesetz zu beschreiben und den Anwendungsbereich der Vorschrift damit zu begrenzen. Dazu könnte ein Fingerzeig des Bundesverfassungsgerichts in der Entscheidung vom 11.03.2008 (BVerfGE 120, 378, zur automatisierten Kennzeichenerfassung) aufgegriffen werden. Das Bundesverfassungsgericht hat in dieser Entscheidung zur Problematik der automatisierten Kennzeichenerfassung unter Rn 175 folgendes ausgeführt (Hervorhebung durch Verfasser):

„Die automatisierte Kennzeichenerfassung ist auch nicht auf Situationen begrenzt worden, in denen Umstände der konkreten Örtlichkeit – zum Beispiel das Fahren auf Straßen in Bereichen nahe der Bundesgrenze – oder dokumentierte Lageerkenntnisse über Kriminalitätsschwerpunkte einen Anknüpfungspunkt geben, der auf gesteigerte Risiken der Rechtsgutgefährdung oder -verletzung und zugleich auf eine hinreichende Wahrscheinlichkeit hinweist, dass diesen Risiken mithilfe der automatisierten Kennzeichenerfassung begegnet werden kann.“

Auf die vorliegende Problematik übertragen dürfte daraus folgen, dass es mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu vereinbaren sein dürfte, wenn eine Identitätsfeststellung in § 181 Abs. 1 Nummer 5 LVwG-Entwurf zur Bekämpfung der grenzüberschreitenden Kriminalität an das Befahren einer Straße (jeglicher Art) in einem näher definierten Grenzgebiet im weiteren Sinne (einschließlich der Nähe zu bestimmten Seehäfen und Flugplätzen) anknüpfen würde, statt an die Klassifizierung einer Straße unabhängig von dem Ort einer möglichen Überschreitung der Bundesgrenze.

III.        Effektiver Rechtsschutz

1.         Grundsätzliches

Die Art und Weise, wie im Rahmen des Gesetzentwurfes versucht wird, eine größtmögliche Transparenz von Gefahrenabwehrmaßnahmen und eine größtmögliche Gewährleistung individuellen Rechtsschutzes zu erreichen, dürfte ausreichen. Dem Umstand, dass verdeckte Ermittlungsmaßnahmen von den Betroffenen naturgemäß nicht vorab durch Inanspruchnahme gerichtlicher Hilfe abgewehrt werden können, wird mit §§ 186 ff. LVwG-Entwurf dadurch Rechnung getragen, dass die Anordnung solcher Eingriffe schriftlich zu dokumentieren sind und der Betroffene nach Abschluss der Maßnahme zu benachrichtigen ist, so dass nachgehender Rechtsschutz in Form einer Fortsetzungsfeststellungsklage vor dem Verwaltungsgericht erwirkt werden kann. Weiterhin gilt für die besonders schwerwiegenden Maßnahmen nach den §§ 185  bis 185 b LVwG-Entwurf ein Richtervorbehalt, so dass jedenfalls insoweit – wenn auch ohne Beteiligung der Betroffenen – vorab eine gerichtliche Beurteilung der Maßnahme vorgesehen ist. Hinzu kommen das Instrument einer aufsichtlichen Kontrolle durch die Landesbeauftragte oder den Landesbeauftragten für Datenschutz und eine Ergänzung der bisherigen Regelung zu einer Berichtspflicht der Landesregierung gegenüber dem Landtag (§ 186 b LVwG-Entwurf). Den Anforderungen eines modernen Gefahrenabwehrsrechts in diesem Bereich und insbesondere den Kriterien, die dem BKAG-Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu entnehmen sind, dürfte dies genügen.

2.         Verzicht auf das Erfordernis einer persönlichen Anhörung bei Rauschzustand der in Gewahrsam genommenen Person

Nach einigen landesrechtlichen Polizeigesetzen (z.B. § 28 Abs. 4 Polizeigesetz Baden-Württemberg, Art. 18 Abs. 1 S. 2 PolizeiaufgabenGesetz Bayern) kann eine richterliche Entscheidung über die Ingewahrsamnahme einer Person ohne dessen persönliche Anhörung ergehen, wenn der Betroffene „rauschbedingt außerstande ist, den Gegenstand der persönlichen Anhörung durch das Gericht ausreichend zu erfassen und in der Anhörung zur Feststellung der entscheidungserheblichen Tatsachen beizutragen.“ Auch einer Bestellung eines Verfahrenspflegers bedarf auch in dieser Fallkonstellation nicht.

In der Gesetzesbegründung (LT-Drucksache (Bayern) 17/20245, S. 42 f.) zur bayerischen Regelung heißt es unter anderem:

„Eine Vorführung vor den zuständigen Richter zum Zwecke der persönlichen Anhörung wird vor allem in jenen Fällen, in denen sich die in Gewahrsam zu nehmende Person auf Grund vorangegangenen Alkohol-, Betäubungsmittel- oder Medikamentenkonsums in einem erheblichen Rauschzustand befindet, nicht verantwortet werden können. Dies führt derzeit zu der Konstellation, dass der zuständige Richter sich zum Zwecke der Anhörung zur anzuhörenden Person begeben muss, was insbesondere zur Nachtzeit oder am Wochenende und vor allem in flächenmäßig großen Gerichtsbezirken zu einer erheblichen Belastung führt. Der Zweck der persönlichen Anhörung – Gewährung ausreichenden rechtlichen Gehörs – wird dabei in diesen Fällen regelmäßig nicht zu erreichen sein. Aus diesem Grund sieht Satz 2 entsprechend § 34 Abs. 2 FamFG und in Anlehnung an die Regelung in § 28 Abs. 4 Satz 2 des Polizeigesetzes BadenWürttemberg (PolG BW) vor, dass in den Fällen, in denen die betroffene Person rauschbedingt nicht in der Lage ist, den Gegenstand der Anhörung zu erfassen und im Rahmen der Anhörung entscheidungserhebliche Tatsachen beizutragen, seitens des von der Polizei zu beteiligenden Gerichts von der Anhörung ganz abgesehen werden kann. Die Entbehrlichkeit der Anhörung entbindet das Gericht dabei nicht von der eigenverantwortlichen Prüfung, ob der Rauschzustand des Betroffenen tatsächlich derart gravierend ist, dass eine persönliche Anhörung zwecklos ist. Es kann seiner ihm insoweit obliegenden Ermittlungspflicht etwa dadurch nachkommen, indem es die Polizeibeamten, die Kontakt zu der festgenommenen Person hatten, um Auskunft zu deren Zustand ersucht und die hierdurch erlangten Angaben – etwa zu festgestellten Ausfallerscheinungen – sorgfältig hinterfragt. Erst wenn sich das Gericht auf dieser Grundlage die Überzeugung bilden kann, dass ein derart gravierender Rauschzustand vorliegt, liegen die Voraussetzungen für die Entbehrlichkeit der Anhörung vor.“

Für das schleswig-holsteinische LVwG (nämlich in § 204) könnte sich empfehlen, eine entsprechende Rechtslage zu schaffen. Sie trägt zur Entlastung der Gerichte und vor allem der gerichtlichen Bereitschaftsdienste bei. Verfassungsrechtliche Bedenken dürften nicht bestehen (vgl. LG Stuttgart NJW 2017, 3729).

3.         Fixierungen im Rahmen eines freiheitsentziehenden Gewahrsams

Das Bundesverfassungsgericht hat mit seinem Urteil vom 24.07.2018 (NJW 2018, 2619) grundlegende Aussagen zu den Voraussetzungen einer die Bewegungsfreiheit vollständig einschränkenden Fixierung im Rahmen einer öffentlich-rechtlichen Unterbringung getroffen. Nach dieser Entscheidung unterliegen gravierende Fixierungsmaßnahmen (jedenfalls 5- bzw. 7-Punkt-Fixierungen) von nicht nur kurzfristiger Dauer, die im Rahmen einer öffentlich-rechtlichen Unterbringung psychisch erkrankter Menschen nach den jeweiligen Landesgesetzen erfolgen, einem gesonderten Richtervorbehalt.

Im Lichte der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ist der Landesgesetzgeber aufgefordert, einen gesetzgeberischer Handlungsbedarf zu prüfen, und zwar nicht nur für den Bereich der Fixierungen im Rahmen öffentlich-rechtlicher Unterbringungen, sondern auch für den Bereich gefahrenabwehrrechtlicher Maßnahmen, also etwa der Fixierung im Rahmen eines freiheitsentziehenden Gewahrsams.

IV.       Neuregelung zur Datenverarbeitung

Was die Datenverarbeitung im Gefahrenabwehrrecht des LVwG angeht, also den entsprechenden bereichsspezifischen Datenschutz, bedarf es einer für die Praxis brauchbaren Lösung des Problems, dass unterschiedliche unionsrechtliche Vorgaben für die Datenverarbeitung im Gefahrenabwehrrecht zu beachten sind. Während auch für das Gefahrenabwehrrecht grundsätzlich die unmittelbar geltende Verordnung (EU) 2016/679 – Datenschutzgrundverordnung – maßgebend ist, gilt für einen Teilbereich der Regelungsmaterie die Richtlinie (EU) 2016/680 – JI-Richtlinie –. Die Trennlinie dieser unterschiedlichen unionsrechtlichen Vorgaben verläuft mitten durch das Gefahrenabwehrrecht, da die Datenschutzgrundverordnung in Art. 2 Abs. 2 ihre Anwendung ausschließt bei der Verarbeitung personenbezogener Daten durch die zuständigen Behörden zum Zwecke der Verhütung von Straftaten (im weiteren Sinne, also einschließlich der Ordnungswidrigkeiten) und der entsprechenden Abwehr von Gefahren für die öffentliche Sicherheit; dieser Teil der Gefahrenabwehr ist allein Gegenstand von Vorgaben für die Mitgliedstaaten durch die JI-Richtlinie. Dieser Differenzierung wurde in dem novellierten LDSG vom 02.05.2018 dadurch Rechnung getragen, dass im Abschnitt 2 Durchführungsbestimmungen für Datenverarbeitungen zu Zwecken gemäß Art. 2 der Datenschutzverordnung getroffen werden, während in Abschnitt 3 spezielle Regelungen zu der Datenverarbeitung zu Zwecken gemäß Art. 1 der JI-Richtlinie gelten.

Der vorliegende Gesetzentwurf zum LVwG greift diese Regelungstechnik des Landesdatenschutzgesetzes nicht auf, sondern setzt auf einheitliche Regelungen, die durch Klarstellungen bezüglich der Abgrenzung von Regelungen des Landesdatenschutzgesetzes, der Datenschutzgrundverordnung und der JI-Richtlinie ergänzt werden (vgl. z.B. § 174 Abs. 4 und § 193 Abs. 2 Satz 2 LVwG-Entwurf). Für diese Lösung  spricht, dass so vermieden wird, die ohnehin schon umfangreichen und auf verschiedene Regelungswerke verteilten Datenschutzregelungen noch weiter zu komplizieren. Von einer umfassenden Stellungnahme zu der Vereinbarkeit der hier in Rede stehenden datenschutzrechtlichen Regelungen mit den Vorgaben des Unionsrechts wird hier abgesehen, da dies eine eigene gründliche Analyse dieses Themenkomplexes ohne Zeitdruck voraussetzen würde. Der Schleswig-Holsteinische Richterverband beschränkt sich daher auf den Hinweis, dass es an einer Stelle des Gesetzentwurfs zu erwägen sein könnte, die unionsrechtlichen Vorgaben den JI-Richtlinie im Gesetzestext stärker zu berücksichtigen, nämlich im Rahmen von § 177 Abs. 1 LVwG-Entwurf bei der unveränderten Übernahme der bisherigen Regelung zur Einwilligung als Grundlage der Datenverarbeitung.

Der Gesetzentwurf zu § 177 Abs. 1 LVwG sieht folgenden Wortlaut vor:

㤠177

Zulässigkeit der Verarbeitung personenbezogener Daten

1. Personenbezogene Daten dürfen zum Zwecke der Gefahrenabwehr nur verarbeitet werden, soweit dies durch Gesetz ausdrücklich zugelassen ist oder die betroffene Person eingewilligt hat.“

Diese Vorschrift gilt mangels einer entsprechenden Differenzierung unzweifelhaft sowohl für den Anwendungsbereich der Datenschutzgrundverordnung als auch für den Anwendungsbereich der JI-Richtlinie. Dass eine Einwilligung entsprechend dem nationalen Verständnis vom Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung eine hinreichende Grundlage zur Datenverarbeitung im Gefahrenabwehrrecht sein kann, ist für den Anwendungsbereich der Datenschutzgrundverordnung nicht fraglich angesichts der ausdrücklichen Regelung hierzu in Art. 6 Abs. 1 dieser Verordnung. Darauf weist die Gesetzesbegründung zutreffend hin. Insoweit ist § 177 LVwG-Entwurf unproblematisch.

Nicht ganz so eindeutig verhält es sich für die Datenverarbeitung im Rahmen der Verhütung von Straftaten und der Abwehr der damit verbundenen Gefahren. Denn hierfür gilt die Datenschutzgrundverordnung mit ihrer ausdrücklichen Anerkennung der Einwilligung nicht, sondern allein die Vorgabe der JI-Richtlinie, die keine ausdrückliche Regelung zur Einwilligung als Grundlage der Datenverarbeitung enthält. Es stellt sich deshalb die Frage, welche Bedeutung das nationale Recht einer Einwilligung als Grundlage der Datenverarbeitung im Anwendungsbereich der JI-Richtlinie beimessen darf.

Soweit in der Gesetzesbegründung darauf verwiesen wird, § 27 LDSG setze die Einwilligung als Rechtsgrundlage im Spezialgesetz voraus, ist damit noch nicht die Frage beantwortet, ob im Anwendungsbereich der JI-Richtlinie eine solche nationale gesetzliche Regelung einer Einwilligung als Grundlage für die Datenverarbeitung den Vorgaben der JI- Richtlinie entspricht. Auch das Landesdatenschutzgesetz muss sich bezüglich der Regelungen in seinem 3. Abschnitt an den Vorgaben der JI-Richtlinie messen lassen.

Es ist also im Wege der Auslegung der JI-Richtlinie zu ermitteln, ob diese Richtlinie einer Regelung im Landesdatenschutzgesetz bzw. im Landesverwaltungsgesetz entgegensteht, die im Anwendungsbereich der JI-Richtlinie eine Einwilligung als Grundlage einer Datenverarbeitung genügen lässt. Bei dieser Auslegung werden die Erwägungsgründe der JI-Richtlinie zu berücksichtigen sein, aus denen sich Sinn und Zweck der in dieser Richtlinie getroffenen Regelungen ergründen lassen. Die Erwägungsgründe zu der in Rede stehenden Problematik sind allerdings nicht so klar, wie dies wünschenswert wäre.

So wird im Erwägungsgrund 35 einerseits folgendes ausgeführt (Hervorhebung durch Verfasser):

„Bei der Wahrnehmung der ihnen als gesetzlich begründeter Institution übertragenen Aufgaben, Straftaten zu verhüten, zu ermitteln, aufzudecken und zu verfolgen, können die zuständigen Behörden natürliche Personen auffordern oder anweisen, ihren Anordnungen nachzukommen. In einem solchen Fall sollte die Einwilligung der betroffenen Person im Sinne der Verordnung (EU) 2016/679 keine rechtliche Grundlage für die Verarbeitung personenbezogener Daten durch die zuständigen Behörden darstellen. Wird die betroffene Person aufgefordert, einer rechtlichen Verpflichtung nachzukommen, so hat sie keine echte Wahlfreiheit, weshalb ihre Reaktion nicht als freiwillig abgegebene Willensbekundungen betrachtet werden kann “.

Danach scheint das Fehlen von Regelungen zur Einwilligung als Grundlage der Datenverarbeitung im Rahmen dieser Richtlinie keine planwidrige Lücke, sondern eine bewusste Entscheidung des Richtliniengebers zu sein.

Andererseits finden sich in Erwägungsgrund 35 folgende weitere Ausführungen:

„Dies sollte die Mitgliedstaaten nicht daran hindern, durch Rechtsvorschriften vorzusehen, dass die betroffene Person der Verarbeitung ihrer personenbezogenen Daten für die Zwecke dieser Richtlinie zustimmen kann, beispielsweise im Falle von DNA-Tests in strafrechtlichen Ermittlungen oder zur Überwachung ihres Aufenthaltsortes mittels elektronischer Fußfesseln zur Strafvollstreckung“.

Angesichts dieser widersprüchlichen Vorgaben in der JI-Richtlinie dürfte es wohl vertretbar sein, auch für den Anwendungsbereich dieser Richtlinie im nationalen Recht eine Einwilligung als Grundlage der Datenverarbeitung zuzulassen. Um jedoch einen Widerspruch der Einwilligungsregelung in § 177 Abs. 1 LVwG-Entwurf mit der JI-Verordnung in diesem Punkt auszuschließen, könnte die vorgeschlagene Regelung um folgenden Zusatz ergänzt  werden

„… sofern die Einwilligung als freiwillig abgegebene Willensbekundung betrachtet werden kann.“

Es dürfte nichts dagegen sprechen, wenn eine solche Beschränkung entsprechend dem Konzept des § 177 Abs. 1 LVwG-Entwurf für beide vorstehend beschriebenen Komponenten der Gefahrenabwehr ergänzt würde.