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Stellungnahme zum Regierungsentwurf eines Gesetzes zur ambulanten Resozialisierung und zum Opferschutz in Schleswig-Holstein (ResOG SH)

Der Schleswig-Holsteinische Richterverband bedankt sich für die Anhörung und nimmt zu dem Regierungsentwurf eines Gesetzes zur ambulanten Resozialisierung und zum Opferschutz in Schleswig-Holstein (ResOG SH) (Stand: 22.09.2020) folgendermaßen Stellung:

I.          Grundsätzliches

Der Entwurf der Landesregierung ist zu begrüßen. Die mit dem Entwurf verfolgten Anliegen der Stärkung der ambulanten Resozialisierung der Probandinnen und Probanden und die Stärkung des Opferschutzes sind begründet und durch die Regelungen des Gesetzesentwurfs noch besser zu realisieren. Eine strukturelle gesetzliche Vereinheitlichung der Organisationsstruktur der ambulanten Hilfen für Probandinnen und Probanden, der fachlichen Standards sowie eine umfassende Regelung des Datenschutzes durch den Gesetzentwurf erscheinen geboten, um auch in diesem Bereich zu modernen Strukturen und Regelungen zu gelangen. Zudem werden Regelungslücken und Unklarheiten beseitigt und eine Anpassung der gesetzlichen Regelungen an die gelebte Rechtspraxis vorgenommen.

Soweit durch den Gesetzentwurf richterliche Arbeitskraftanteile freigesetzt werden können, darf dies nicht dazu führen, dass das richterliche Personal vermindert wird. Gerade bei der gegenwärtigen Belastungssituation der Justiz bedarf es dringend einer personellen Verstärkung des spruchrichterlichen Bereichs.

II.         Im Einzelnen:

Der Aufbau des Gesetzentwurfs ist übersichtlich und folgerichtig.

1.         Ziele des Gesetzes

Nach einer Klärung des umfassenden Anwendungsbereichs in § 1 des Entwurfs werden die Ziele des Gesetzes in § 2 definiert. In § 2 Abs. 1 des Entwurfs wird als Ziel des Gesetzes festgelegt, dass die Leistungen nach diesem Gesetz die Resozialisierung von Probandinnen und Probanden fördern und damit auch dem Schutz der Allgemeinheit und der Herstellung des sozialen Friedens dienen sollen. Diese Festlegung ist fachlich nicht zu bestreiten und betont zu Recht, dass eine Resozialisierung von Probandinnen und Probanden der beste Schutz vor weiteren Straftaten darstellt.

In § 2 Abs. 2 des Entwurfs heißt es zudem, dass durch die Leistungen Inhaftierungen vermieden bzw. auf das notwendige Maß verkürzt werden sollen. Diese Klarstellung erscheint geboten, da nach dem Stand der kriminologischen Forschung die Dauer einer Inhaftierung möglichst minimiert werden sollte. 

Des Weiteren sollen nach § 2 Abs. 3 des Entwurfs die Probandinnen und Probanden durch die Leistungen nach diesem Gesetz insbesondere gefördert und befähigt werden, sich mit der Tat und deren Folgen auseinanderzusetzen, durch Straftaten entstandene Schäden wiedergutzumachen, ihre Lebenslagen zu verbessern, Ausgrenzungen entgegenzuwirken und ihre sozialen Beziehungen zu stabilisieren. Diese Ansinnen sind im Hinblick auf die Zielsetzung des Gesetzes und des Zwecks der Strafverfolgung allgemein sachlich gerechtfertigt und erstrebenswert. 

2.         Gestaltungsgrundsätze

Zutreffend wird in § 4 des Entwurfs als Grundsatz für die Gestaltung der Maßnahmen auf die Verhältnismäßigkeit abgestellt, indem ausdrücklich ausgeführt wird, dass die Grundrechte der Probandinnen und Probanden sowie der Verletzten zu achten sind und die Leistungen nach dem ResOG SH weder unmenschlich noch erniedrigend sein dürfen und dass das soziale, sozialtherapeutische und therapeutische Handeln so auszurichten ist,  dass es in einem angemessenen Verhältnis zu seinem Zweck steht und es die Probandinnen und Probanden nicht länger als notwendig beeinträchtigt. Diese Betonung der Achtung bzw. Berücksichtigung der Grundrechte sowie die besondere Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes bei der Ausgestaltung der ambulanten Hilfen ist sachlich geboten und auch an der exponierten Stelle des Gesetzes richtig verortet. Gerade im Rahmen der sozialen, sozialtherapeutischen und therapeutischen Arbeit kann es zu Anforderungen und zu Maßnahmen kommen, um den legitimen Zweck einer Resozialisierung der Probandinnen und Probanden zu erreichen, durch die die Probandinnen und Probanden übermäßig belastet werden könnten.

Richtig ist auch der Ansatz, dass nach § 5 des Entwurfs die Leistungen möglichst den Vorstellungen und der individuellen Situation der Probandinnen und Probanden entsprechend gestaltet werden sollen, um so eine weitgehende Akzeptanz bei diesen zu erreichen und hierdurch den angestrebten Zweck möglichst erfolgreich erreichen zu können.

Der in § 6 S. 2 des Entwurfs vorgesehene Vorrang des Regelsystems und die Verpflichtung zur Gestaltung der Leistungen nach § 6 S. 1 dergestalt, dass nach Möglichkeit eine Integration der Probandinnen und Probanden in die Regelsysteme erfolgen kann, stellen richtige Ansätze zur Gestaltung der ambulanten Hilfen im Hinblick auf die Resozialisierung dar.

Mit Blick auf die notwendige Zusammenarbeit zwischen den Probandinnen und Probanden einerseits und den Leistungserbringern andererseits ist zudem der nach § 7 des Entwurfs ausdrücklich angeordnete Vorrang der sozialen, der sozialarbeiterischen und therapeutischen Ausrichtung der Leistungen gegenüber kontrollierenden Anteilen der Leistungen sachlich gerechtfertigt. Auch dann, wenn die Arbeit mit den Probandinnen und Probanden kontrollierende Komponenten haben muss, ist hierdurch klargestellt, wo der Schwerpunkt der Arbeit liegen muss, um das Ziel des Gesetzes bzw. das Vollzugsziel der Resozialisierung möglichst zu erreichen.

Dasselbe gilt für die nach § 8 des Entwurfs vorgesehene Opferorientierung bei der Gestaltung der Leistungen, die so auszurichten sind, dass sich die Probandinnen und Probanden mit den Folgen ihres Handelns für die Verletzten auseinander zu setzen und hierfür Verantwortung zu übernehmen haben. Eine umfassende Auseinandersetzung mit den Folgen der Taten für die Opfer wirkt resozialisierend. Die nach § 8 S. 2 des Entwurfs vorgesehene Unterstützung bei dem Ausgleich des verursachten materiellen und immateriellen Schadens kann zudem noch stärker dazu führen, dass zu Gunsten der Opfer direkt Leistungen der Probandinnen und Probanden möglich werden und so nicht nur die angestrebte Resozialisierung erleichtern, sondern auch dem Opfer bei der Verarbeitung der Geschehnisse helfen.

§ 9 des Entwurfs knüpft mit der Ressourcenorientierung, der Lebensweltorientierung und der Digitalisierung an § 5 des Entwurfs an, indem nochmals ausgeführt wird, dass sich die Planung und Gestaltung der Leistungen an den Ressourcen und den Lebenslagen der Probandinnen und Probanden zu orientieren und an deren Lebenswelten auszurichten hat. Diese Doppelung erscheint wenig sinnvoll und sollte zusammengeführt werden.

Die in § 10 Abs. 1 des Entwurfs gefundene Regelung, dass die Leistungen möglichst durchgängig und von einer Fachkraft erbracht werden sollen, ist ebenfalls in der Sache gerechtfertigt. Das gilt auch für die nach § 10 Abs. 2 des Entwurfs bestehende Verpflichtung des voraussichtlich für die Nachsorge zuständigen Leistungserbringers, frühzeitig an den Entlassungsvorbereitungen einer inhaftierten Probandin bzw. eines inhaftierten Probanden mitzuwirken.

§ 11 Abs. 1 des Entwurfs sieht eine Kooperationsverpflichtung der nach dem ResOG SH zuständigen Leistungserbringer mit allen an der Resozialisierung mitwirkenden Personen und Organisationen vor, was hinsichtlich des Ziels der Resozialisierung ohnehin selbstverständlich sein dürfte. Nach § 11 Abs. 2 des Entwurfs wird dem für die Justiz zuständigen Ministerium die Möglichkeit gegeben, im Einzelfall den Leistungserbringern unmittelbare Arbeitsaufträge zu erteilen, was zumindest ungewöhnlich ist und systematisch auch im Rahmen der Regelungen zur Organisation der Leistungen bzw. bei der Ausformung der Rechte der Fachaufsicht zu regeln sein dürfte. Weshalb dieses im Rahmen des Übergangsmanagements erforderlich sein sollte, erschließt sich nicht.

Die in § 12 Abs. 1 des Entwurfs konstituierte Mitwirkungsverpflichtung der Probandinnen und Probanden, die über die ohnehin schon bestehenden gesetzlichen Mitwirkungsverpflichtungen hinausgeht bzw. diese weiter ausdehnt, ist hinzunehmen, da die Regelung keine Sanktionen vorsieht. Nach § 12 Abs. 3 des Entwurfs sind die Probandinnen und Probanden an der Gestaltung der Leistungen zu beteiligen, was nicht nur verfassungsrechtlich geboten ist, sondern zudem die Akzeptanz und damit die Erfolgsaussichten der Leistungen erhöht.

Nach § 13 S. 1 des Entwurfs sind Freie Träger der Straffälligen- und Opferhilfe an der Durchführung der Aufgaben nach dem ResOG SH zu beteiligen, soweit Rechtsvorschriften und sonstige öffentliche Belange nicht entgegenstehen. Diesen soll nach § 13 S. 2 des Entwurfs die Durchführung der Leistungen übertragen werden, wenn die Freien Träger die fachlichen Voraussetzungen für die Aufgabenwahrnehmung erfüllen und mit der Beteiligung oder Übertragung der Durchführung einverstanden sind. Dieses gilt besonders für die Aufgaben nach §§ 21 bis 36 des Entwurfes, namentlich für die Wiedergutmachungsdienste, für die forensischen Ambulanzen, für die Vermittlung in gemeinnützige Arbeit, für die Integrationsbegleitung am Übergang von der Freiheitsentziehung in die Nachsorge, für die Hilfe für Kindern von Probandinnen und Probanden, für den Resozialisierungsfonds und für die ehrenamtlichen Angebote. Hierbei sind die Freien Träger nach § 13 S. 4 des Entwurfs angemessen zu unterstützen und zu fördern. In der Sache sind auch diese Regelungen nicht zu beanstanden, es ist aber hinreichend sicher zu stellen, dass die Freien Träger auch die personellen und sachlichen Ressourcen zur Verfügung haben.

3.         Inhalte und Organisation der Leistungen

Ab § 14 des Entwurfs werden die jeweiligen Inhalte der Leistungen sowie deren organisatorische Ausgestaltung inklusive der fachlichen Anforderungen an die Fachkräfte des jeweiligen Bereichs sowie die Dienst- und Fachaufsicht ausgestaltet. Diese Vorgehensweise ist nicht zu beanstanden und orientiert sich an den bestehenden Strukturen. Eine Veränderung ist in diesem Zusammenhang besonders in den Blick zu nehmen. Nach § 18 Abs. 6 des Entwurfs bestimmt der Präsident bzw. die Präsidentin des Landgerichts eine Mitarbeiterin bzw. einen Mitarbeiter zur Fachaufsicht über die Bewährungshilfe, der oder die nach § 18 Abs. 6 S. 2 des Entwurfs grundsätzlich einen Hochschulabschluss in dem Bereich sozialer Arbeit aufweisen soll. Damit wird die Fachaufsicht – wie in der Begründung des Entwurfs ausgeführt wird – aus dem richterlichen Bereich herausgelöst, was einerseits landesweit zur Freisetzung von richterlicher Arbeitskraft in einer Größenordnung von 0,78 AKA führt und andererseits eine Einstellung der benötigten Fachkräfte erfordert, die nach A 13 besoldet werden sollen. Diese der Sache nach ebenfalls nicht zu beanstandende Regelung darf nicht dazu führen, dass das richterliche Personal vermindert wird, sondern muss gerade bei der gegenwärtigen Belastungssituation der Justiz zu einer personellen Verstärkung des spruchrichterlichen Bereichs führen. Die dem Entwurf offenbar zugrundeliegende Annahme, dass die benötigten Stellen durch Umschichtung bereits vorhandener Stellen des MJEV geschaffen werden und innerhalb des bestehenden Stellenplans abzubilden sind, überrascht angesichts der vorhandenen Aufgabenvielfalt und dürfte nicht umzusetzen sein. Es ist deutlich zu sagen, dass die gewünschte Veränderung entsprechende Kosten verursachen wird.

Ansonsten kann zu der Ausgestaltung der Inhalte der Leistungen und der Organisation der Aufgabenwahrnehmung ausgeführt werden, dass die §§ 14 ff. des Entwurfs jeweils gleichförmige und sich leicht erschließende Regelungen beinhalten, durch die die jeweiligen Inhalte der Leistungen zunächst definiert, die zuständigen Leistungserbringer bestimmt und deren Aufbau und Überwachung in Form der Fachaufsicht näher bestimmt werden. Im Bereich der Bewährungshilfe wird in § 17 des Entwurfs ein Resozialisierungsplan verbindlich vorgeschrieben, der nach § 17 Abs. 4 die dem Resozialisierungsplan zugrundeliegenden Annahmen zu Ursachen und Umständen der Straffälligkeit, den festgestellten Hilfe- und Kontrollbedarf der Probandin oder des Probanden und die Ziele und Inhalte der geplanten Leistungen enthalten soll. Entsprechendes findet sich für den Bereich der Forensischen Ambulanzen sowie weiterer Stellen insbesondere zur therapeutischen und sozialarbeiterischen Behandlung von Sexual- und Gewaltstraftäterinnen und Sexual- und Gewaltstraftätern unter § 23 des Entwurfs, wonach bei länger dauernden Behandlungen ein Behandlungsplan zu erstellen ist. Selbiges gilt schließlich noch für die Integrationsbegleitung am Übergang von der

Freiheitsentziehung in die Nachsorge gemäß § 27 des Entwurfs. Diese Vorgaben sind ebenfalls sachlich gerechtfertigt, da durch die entsprechenden Pläne, die jeweils unter Beteiligung der Probandinnen und Probanden zu erstellen sind, die Gestaltung der Leistungen transparent wird und hierdurch die Zielerreichung erleichtert werden kann. Zudem entspricht diese Vorgehensweise den Regelungen im Vollzugsrecht, nach denen ebenfalls entsprechende Pläne zeitnah erstellt werden müssen.

Schließlich ist  zu begrüßen, dass in § 37 des Entwurfs die Fachaufsicht abschließend geregelt wird, in § 38 des Entwurfs dem für die Justiz zuständigen Ministerium die Befugnis zur Schaffung  einheitlicher Mindeststandards für die Leistungserbringung übertragen wird und nach §§ 42 f. das Beschwerderecht sowie der gerichtliche Rechtsschutz einheitlich festgelegt werden, wobei § 43 des Entwurfs insoweit auf das Einführungsgesetzes zum Gerichtsverfassungsgesetz (EGGVG) verweist, was der insoweit dem Bundesgesetzgeber zustehenden Gesetzgebungskompetenz geschuldet ist.

4.         Datenschutz

In §§ 44 bis 69 des Entwurfs finden sich zahlreiche Regelungen zum Datenschutz, die europäische Regelungen berücksichtigen und zudem dem in Schleswig-Holstein gewachsenen System an Freien Trägern entsprechen. Geregelt werden hier neben allgemeinen Grundsätzen zur Datenverarbeitung (§ 45 des Entwurfs) zunächst die Zulässigkeit der Datenverarbeitung (§ 46 des Entwurfs) und das Datengeheimnis (§ 47 des Entwurfs). Weiter werden Regelungen zur Datenerhebung und -verarbeitung (§§ 48 ff. des Entwurfs) und zur Datenübermittlung (§ 53 des Entwurfs), zur elektronischen Aktenführung (§ 55 des Entwurfs), zu Fallkonferenzen (§ 56 des Entwurfs) und zu Akteneinsicht und zu Auskünften (§ 59 f. des Entwurfs) getroffen.

Alle Regelungen sind nachvollziehbar und in der Sache nicht zu beanstanden. In den §§ 61 ff. des Entwurfs sind die Rechte der von der Datenverarbeitung betroffenen Personen sowie die Löschungsvorschriften und Löschungs- und Berichtigungsrechte kodifiziert. Die Regelungen sind umfassend und führen zu einem einheitlichen Datenschutzrecht für den Bereich der ambulanten Resozialisierung.

III.       Fazit

Der Gesetzentwurf ist insgesamt überzeugend und zielführend. Inhaltlich gibt es nur wenige Einzelpunkte zu kritisieren. Eine Vereinheitlichung der Standards, des Rechtswegs und des Datenschutzrechts ist sachlich richtig. Auch die Fortentwicklung und Modernisierung des bisherigen Rechts ist inhaltlich nicht zu beanstanden. Der Gesetzentwurf fügt sich gut in das Gesamtsystem des Vollzugsrecht in Schleswig-Holstein ein und rundet dieses hiermit inhaltlich ab. Soweit durch den Gesetzentwurf richterliche Arbeitskraftanteile freigesetzt werden, darf dies nicht dazu führen, dass das richterliche Personal vermindert wird. Gerade bei der gegenwärtigen Belastungssituation der Justiz bedarf es dringend einer personellen Verstärkung des spruchrichterlichen Bereichs.