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Stellungnahme zum Entwurf eines Justizvollzugsmodernisierungsgesetzes (LT-Drucksache 19/2381)

Der Schleswig-Holsteinische Richterverband bedankt sich für die Anhörung und nimmt zu dem Regierungsentwurf eines Justizvollzugsmodernisierungsgesetzes (LT-Drucksache 19/2381) folgendermaßen Stellung:

I.          Grundsätzliches

Der vorgelegte Entwurf eines Artikelgesetzes beinhaltet nicht nur umfangreiche Änderungen des Landesstrafvollzugsgesetzes, eine Neufassung des Jugendstrafvollzugsgesetzes und des Untersuchungshaftvollzugsgesetzes, deutliche Änderungen des Gesetzes zum Vollzug der Sicherungsverwahrung und des Arrestvollzugsgesetz, sondern enthält auch ein umfassendes Justizvollzugsdatenschutzgesetz. Es ist anhand der Aufzählung der zu ändernden bzw. neugefassten und neugeschaffenen Gesetze festzustellen, dass das Justizvollzugsmodernisierungsgesetz sehr gehaltvoll ist und seiner Bezeichnung im Anspruch gerecht wird. Es wird damit das Justizvollzugsrecht mit Ausnahme des Maßregelvollzugs[1] in Gänze nochmals modernisiert sowie im Aufbau und in der Terminologie vereinheitlicht, was aus der Sicht des Rechtsanwenders ausdrücklich zu begrüßen ist.

Wesentlich sind bei den umfassenden Änderungen zunächst die stärkere Betonung des Behandlungsgrundsatzes, eine Hinwendung zu den Interessen der Opfer der sanktionierten Straftaten sowie die Schaffung eines einheitlichen Datenschutzgesetzes für den Justizvollzug mit dem Schleswig-Holsteinischen Gesetz zum Schutz personenbezogener Daten im Justizvollzug (Justizvollzugsdatenschutzgesetz). Der Entwurf des Justizvollzugsdatenschutzgesetzes beruht auf der Richtlinie (EU) 2016/680 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. April 2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten durch die zuständigen Behörden zum Zwecke der Verhütung, Ermittlung, Aufdeckung oder Verfolgung von Straftaten oder der Strafvollstreckung sowie zum freien Datenverkehr.

Die Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu freiheitsentziehenden Maßnahmen in Form von Fixierungen[2] in dem Entwurf eines Justizvollzugsmodernisierungsgesetzes ist notwendig. Die Regelung ist jedoch in Teilen zu kritisieren.

Die neuen Regelungen sollen nach Art. 7 des Entwurfes des Justizvollzugsmodernisierungsgesetzes zum 01.01.2021 in Kraft treten mit Ausnahme von § 42 des Justizvollzugsdatenschutzgesetzes, der erst zum 06.05.2023 in Kraft treten soll, was der Schwierigkeit der Anpassung der schon vor Erlass der vorgenannten Richtlinie betriebenen Datenverarbeitungssysteme an die neuen gesetzlichen Anforderungen geschuldet ist. 

Insgesamt sind die jeweiligen Regelungen in den einzelnen jeweils zu ändernden Gesetzen aufeinander abgestimmt und werden eine leichtere Rechtsanwendung ermöglichen.

Unglücklich ist es, dass durch den Entwurf nicht alle wesentlich neu gestalteten Gesetze durch Ablösegesetze ersetzt werden, sondern durch den Entwurf sehr umfangreiche kleinteilige Änderungen vorgenommen werden. Das Gesetz zum Vollzug der Sicherungsverwahrung (Art. 4 des Entwurfs) wird bei 126 Paragraphen neunundneunzigmal geändert. Hier wäre es angezeigt, auch dieses Gesetz vollständig zu novellieren, um so die Übersichtlichkeit zu wahren.   

Dringend zu fordern ist, dass die notwendigen Mittel für die Umsetzung der Ziele des Entwurfs zur Verfügung gestellt werden. Dies gilt primär für den Vollzugsbereich selbst, aber auch für die Justiz, da insbesondere die notwendige Sicherung der Grundrechte der untergebrachten Menschen nicht zum „Nulltarif“ zu haben ist.  

Schlichtweg unverständlich ist deshalb, dass der Entwurf eine sicher zu erwartende Mehrbelastung der Richterschaft vollständig übergeht. Für die Gerichte ist eine angemessene Personalausstattung erforderlich. Dies gilt umso mehr, wenn der Gesetzgeber neue Aufgaben für die Gerichte vorsieht.

II.         Im Einzelnen

Die Stellungnahme kann sich schon aufgrund des Umfangs des Entwurfs und der Vielzahl der Änderungen nur mit den wesentlichen Gesichtspunkten beschäftigen. Dabei wird aufgrund der Gleichförmigkeit der jeweiligen Regelungen eine gesetzesübergreifende Darstellung gewählt.  

1.         Betonung der Behandlungsorientierung des Vollzugs

Der Strafvollzug soll nach dem Entwurf noch stärker an einer Resozialisierung des Gefangenen bzw. Untergebrachten ausgerichtet sein. Daher soll eine umfassende Diagnose der kriminogenen Faktoren sowie die Entwicklung eines Behandlungsansatzes der rechtskräftig verurteilten Gefangenen bzw. Untergebrachten erfolgen. Durch den Entwurf wird dieses in § 7 des Strafvollzugsgesetzes, in § 8 des Jugendstrafvollzugsgesetzes und in § 8 des Gesetzes zum Vollzug der Sicherungsverwahrung geregelt. Ausgerichtet sind diese Vorschriften jeweils darauf, möglichst umfassend alle kriminogen Faktoren der verurteilten bzw. untergebrachten Person zu ermitteln und sodann unter Berücksichtigung dieser Risikofaktoren für eine zukünftige Legalbewährung und des begangen Delikts sowie des Strafmaßes den Vollzugsverlauf zu planen. Das Diagnoseverfahren erstreckt sich auf die Persönlichkeit, die Lebensverhältnisse, die Ursachen und Umstände der Straftat sowie alle sonstigen die Straffälligkeit begünstigenden und ihr entgegenwirkenden Gesichtspunkte, deren Kenntnis für eine Einschätzung der Rückfallwahrscheinlichkeit notwendig ist. Die umfassende Diagnose ist der Ausgangspunkt einer Vollzugs- und Eingliederungsplanung, die insbesondere die Hilfe- und Behandlungsmaßnahmen sowie Qualifizierungsmaßnahmen beinhalten soll (vgl. § 10 des Entwurfs des Strafvollzugsgesetzes).

Allein nach § 7 des Entwurfs des Untersuchungshaftvollzugsgesetzes kann lediglich in Form eines Aufnahmegesprächs eine eingeschränkte Ermittlung der Lebensumstände des Untersuchungsgefangenen erfolgen, da eine vollzugsplanerische Gestaltung schon aufgrund der weiterhin geltenden Unschuldsvermutung und auch der unklaren Verweildauer im Vollzug nicht möglich ist.

Dieser sich in dem Entwurf des Justizvollzugsmodernisierungsgesetzes widerspiegelnde Ansatz der Resozialisierung durch Behandlung ist im Hinblick auf die Ziele des jeweiligen Vollzugs ausdrücklich zu begrüßen und trägt kriminologischen Erkenntnissen Rechnung. 

Es ist zudem folgerichtig, dass dieser Behandlungsansatz nach § 8 des Entwurfs des Strafvollzugsgesetzes nicht für den Vollzug von Ersatzfreiheitsstrafen gelten soll. Diese haben einen anderen Charakter und sind regelmäßig zeitlich deutlich kürzer. Es heißt hierzu in § 8 des Entwurfs, dass, wenn ausschließlich Ersatzfreiheitsstrafe zu vollstrecken ist, ein Diagnoseverfahren nicht stattfinden soll. An dessen Stelle tritt ein erweitertes Zugangsgespräch, in dem eine Feststellung der für eine angemessene Vollzugsgestaltung wesentlichen Gesichtspunkte zur Person und zum Lebensumfeld der Gefangenen erfolgt und erneut die Möglichkeiten der Abwendung der Vollstreckung insbesondere durch freie Arbeit oder ratenweise Tilgung der Geldstrafe erörtert werden. Die Ermittlungstiefe ist geringer und darüber hinaus soll noch bei Beginn des Vollzugs gerade auf eine Vermeidung des Vollzugs der Ersatzfreiheitsstrafe hingewirkt werden.

2.         Stärkung der Opferrechte

Durch den Entwurf sollen auch im Rahmen der Vollzugsgestaltung die Opferrechte gestärkt werden.

In dem Strafvollzugsgesetz wird in § 3 des Entwurfs als weiterer Grundsatz des Vollzugs die Berücksichtigung der berechtigten Interessen der durch die Straftat Verletzten mitaufgenommen. Diese sind bei der Gestaltung des Vollzuges, insbesondere bei der Erteilung von Weisungen für Lockerungen, bei der Eingliederung und der Entlassung der Gefangenen zu berücksichtigen. Der Vollzug ist weiter hiernach darauf auszurichten, dass die Gefangenen sich mit den Folgen ihrer Straftat für die Verletzten auseinandersetzen und Verantwortung für ihre Tat übernehmen. Im Vollzug sollen die Gefangenen dabei unterstützt werden, den verursachten materiellen und immateriellen Schaden auszugleichen. Hierdurch wird bei der Gestaltung des Vollzugs die Perspektive der Verletzten mitaufgenommen, gleichzeitig werden die Gefangenen angehalten, sich mit den Folgen der Straftat auseinanderzusetzen und eine Schadenswiedergutmachung zu versuchen.

Entsprechendes findet sich auch § 3 Abs. 13 des Entwurfs des novellierten Jugendstrafvollzugsgesetz und in dem neuen § 3 Abs. 9 des Gesetzes zum Vollzug der Sicherungsverwahrung.

3.         Vereinheitlichung der Regelungen

Das Justizvollzugsmodernisierungsgesetz nimmt eine Vereinheitlichung zahlreicher Regelungen vor, beispielsweise der Besuchsreglungen. Gleichzeitig ist festzustellen, dass die Gesetzessystematik angeglichen wird, was den Zugriff auf die jeweiligen Regelungen vereinfacht und das Vollzugsrecht insgesamt praktikabler gestaltet. Dieses ist ausdrücklich zu begrüßen. 

4.         Ärztliche Zwangsbehandlung

Durch das Justizvollzugsmodernisierunggesetz soll unter anderem auch eine einheitliche Regelung der ärztlichen Zwangsbehandlung von Strafgefangenen, Untersuchungsgefangenen, Sicherungsverwahrten sowie im Arrest befindlichen Personen erfolgen. Regelungen finden sich hierzu in § 86 Strafvollzugsgesetzentwurf, in § 88 Jugendstrafvollzugsentwurf, in § 55 Untersuchungshaftvollzugsgesetzentwurf und in § 76 des Entwurfs des Gesetzes über die Sicherungsverwahrung. Strukturell gleichen sich die Regelungen.

Bei den Voraussetzungen einer ärztlichen Zwangsmaßnahme (z.B. nach § 86 Abs. 4 Nr. 3 Strafvollzugsgesetzentwurf) ersetzt der Entwurf den Begriff der „Zustimmung“ durch den Begriff der „Anordnung“. Diese Änderung entspricht einem Vorschlag des Schleswig-Holsteinischen Richterverbandes.[3]

Die bisherige gesetzliche Formulierung einer „Zustimmung“ war verfehlt. Im Bereich der Freiheitsentziehung sowie der sie begleitenden Maßnahmen, welche auf der Basis des öffentlichen Rechtes erfolgen, handelt es sich stets um Entscheidungen, die von Staats wegen bei Erfüllung gewisser Tatbestände ergehen. Anders als im Bereich des bürgerlichen Rechtes erfolgt dementsprechend schon keine Genehmigung der Entscheidung eines dazu berufenen Vertreters, sondern eine eigenständige Anordnung (vgl. z.B. Grotkopp in: Bahrenfuss, 3. Aufl., § 323 FamFG, Rn. 5.). Das Gericht trifft also selbst die originäre richterliche Entscheidung über die Anordnung der ärztlichen Zwangsmaßnahme. Dies muss auch, wie nun vorgeschlagen, im Gesetzeswortlaut in aller Eindeutigkeit zum Ausdruck kommen.

5.         Fixierungen

a)        Entscheidung des BVerfG zur 5-Punkt- und 7-Punkt-Fixierung

Das Bundesverfassungsgericht hat am 24.07.2018[4] entschieden, dass Fixierungsmaßnahmen (jedenfalls 5- bzw. 7-Punkt-Fixierungen) von nicht nur kurzfristiger Dauer, die im Rahmen einer öffentlich-rechtlichen Unterbringung nach den jeweiligen Landesgesetzen (PsychKG, UBG) erfolgen, dem Richtervorbehalt unterliegen. Um den Schutz des von einer freiheitsentziehenden Fixierung Betroffenen sicherzustellen, bedarf es eines täglichen richterlichen Bereitschaftsdienstes, der den Zeitraum von 6:00 Uhr bis 21:00 Uhr abdeckt. Auch hat das BVerfG (für die vom bundesverfassungsgerichtlichen Verfahren unmittelbar betroffenen Bundesländer Baden-Württemberg und Bayern) angeordnet, dass in der Übergangszeit bis zur Schaffung einer gesetzlichen Grundlage in den PsychKG bzw. UBG der beiden Bundesländer der Richtervorbehalt aus Art. 104 Abs. 2 GG unmittelbar anzuwenden sei.

Aus dem Urteil ist ein dringender gesetzgeberischer Handlungsbedarf erwachsen. Die Entscheidung ist zwar zum Recht der öffentlich-rechtlichen Unterbringung ergangen. Die Ausführungen in ihrer Begründung sind jedoch grundsätzlicher Natur und beanspruchen für alle Personen, denen aufgrund richterlicher Anordnung die Freiheit entzogen wird – und damit auch im Justizvollzug – Geltung.

Insofern ist zu begrüßen, dass nun endlich Regelungen für Fixierungen in den Justizvollzugsgesetzen – mit Ausnahme des Gesetzes zum Vollzug des Arrestes – geschaffen werden sollen. Zu fordern ist aber, dass diese Neuregelungen mit dem systematischen Gesamtgefüge der bereits existierenden rechtlichen Grundlagen in Einklang stehen.

Die Fixierung wird in den Vollzugsgesetzen immer als eine Fesselung, durch die die Bewegungsfreiheit des Strafgefangenen usw. vollständig aufgehoben wird, einschließlich der hiermit medizinisch notwendig verbundenen Medikation (Fixierung), als ein besonderes Sicherungsmittel (legal-)definiert (vgl. § 108 Abs. 2 Nr. 6 des Entwurfs des Strafvollzugsgesetzes, § 105 Abs. 2 Nr. 6 des Entwurfs des Jugendstrafvollzugsgesetzes, § 70 Abs. 2 Nr. 6 Entwurf des Untersuchungshaftvollzugsgesetz, § 87 Abs. 2 Nr. 6 Entwurf des Gesetzes über den Vollzug der Sicherungsverwahrung). Hiervon ausgehend werden in §§ 108, 109 des Entwurfs des Strafvollzugsgesetz, in §§ 105, 106 des Entwurfs des Jugendstrafvollzugsgesetz und in § 71 des Entwurfs des Untersuchungshaftvollzugsgesetz jeweils die Eingriffsvoraussetzungen, die flankierenden verfahrensrechtlichen Regelungen und auch die weiteren Vollzugsvoraussetzungen dieser freiheitsentziehenden Maßnahmen ausgestaltet.

b)        Begriff der „Fixierung“

Der Gesetzentwurf orientiert sich mit seinem Regelungsinhalt an den Aussagen des Bundesverfassungsgerichtes[5]. Dieses hat bekanntlich anlässlich einer 5- und 7-Punkt-Fixierung festgestellt, dass die Maßnahmen jedenfalls dann, wenn sämtliche Gliedmaßen des Betroffenen mit Gurten am Bett festgebunden werden, eine Freiheitsentziehung darstellen. Wenig später wird in dem Urteil erläuternd ausgeführt, dass „die vollständige Aufhebung der Bewegungsfreiheit“ die einem Betroffenen noch verbleibende Freiheit, sich innerhalb einer Station oder seines Zimmers zu bewegen, nehme. Die Form der Fixierung „sei darauf angelegt, dem Betroffenen auf seinem Krankenbett vollständig bewegungsunfähig zu halten“[6]. Wenig später ist davon die Rede, dass in dieser Form der Fixierung die „Fortbewegungsfreiheit“ des Betroffenen „nach jeder Richtung hin vollständig aufgehoben“ wird[7]. Da verfassungsrechtlich geschütztes Gut die Fortbewegungsfreiheit ist, geht es mithin um diese, allerdings unter der besonders qualifizierten Einschränkung dergestalt, dass die Bewegungsfreiheit vollständig aufgehoben wird. Dieses beachtend ist eine Festlegung auf die genaue Anzahl der fixierten Körperstellen weder erforderlich noch zielführend. Wichtig ist die Grunderkenntnis der Eingriffsintensität.

Für Schleswig-Holstein formuliert § 108 Abs. 2 Nr. 6 des Entwurfs des Strafvollzugsgesetzes, dass die Fixierung

  • eine Fesselung ist (einschließlich der hiermit medizinisch notwendig verbundenen Medikation),
  • die die Fortbewegungsfreiheit des Gefangenen nach jeder Richtung hin vollständig aufhebt.

Insofern greifen die vorgeschlagenen gesetzlichen Anforderungen zur Fixierung nicht bei jedweder Fixierung (also etwa nicht bei der 1-Punkt-Fixierung), sondern lediglich bei 5-Punkt-, 7-Punkt- oder gar 9-Punkt-Fixierungen. Es kommt auf die vollständige Aufhebung der Fortbewegungsfreiheit an.

Nicht  zugestimmt werden kann dem Vorschlag, dass die Fixierungsmaßnahme zwangsläufig eine „medikamentöse Sedierung sowie nach medizinisch fachlicher Abwägung und entsprechend der Erfordernisse des Einzelfalls eine Thromboseprophylaxe“ beinhaltet[8]. Das mag vielleicht in gewissen Fällen so sein. Das Gesetz, dessen Tatbestand bei der gegebenen ganz erheblichen Eingriffsintensität klar und unmissverständlich formuliert sein muss, um den Erfordernissen des Gesetzesvorbehaltes zu entsprechen, gibt eben diese angebliche „zwangsläufige“ Verknüpfung ebenso wenig her wie die Gabe sedierender und somatischer Medikation.

c)        Beteiligung des Arztes vor und nach der Fixierungsanordnung

Zur Beteiligung des Arztes vor und nach der Fixierungsanordnung hat das BVerfG in seiner Entscheidung vom 24.07.2018[9] formuliert: „Zur Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes unabdingbar ist die Anordnung und Überwachung der Fixierung in einer geschlossenen psychiatrischen Einrichtung untergebrachter Personen durch einen Arzt.“

Zur Umsetzung dieser Maßgabe ist in § 111 Abs. 2 S. 1 Strafvollzugsgesetz bestimmt, dass ein Arzt unverzüglich und in der Folge täglich hinzugezogen werden soll. Diese Hinzuziehung erfolgt durch die Justizvollzugsanstalt. Eine bestimmte Qualifikation des hinzugezogenen Arztes legen wegen das bisherige Gesetz noch der neue Entwurf fest.

In der nun vorgesehenen Fassung dürfte mithin auch ein Arzt ohne jegliche Erfahrung in der Psychiatrie die erforderlichen Maßnahmen ergreifen dürfen. Vor dem Hintergrund allerdings, dass das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vom 24.07.2018 in Bezug auf den Charakter der Fixierungsmaßnahme eine enge Parallele zur ärztlichen Zwangsbehandlung gezogen hat[10], sowie eingedenk des Umstandes, dass in § 331 S. 1 Ziff. 2 FamFG für die im Wege der einstweiligen Anordnung zu treffende gerichtliche Entscheidung in Bezug auf eine ärztliche Zwangsmaßnahme der Ersteller des ärztlichen Zeugnisses Facharzt für Psychiatrie sein soll, er zumindest Erfahrung auf dem Gebiet der Psychiatrie aufweisen muss, ist das Fehlen einer ausdrücklich Regelung über die Qualifikation des Arztes in § 111 Strafvollzugsgesetz verfassungsrechtlich zweifelhaft.

d)        Antrag

In § 109 Abs. 4 des Entwurfs des Strafvollzugsgesetzes ist aufzunehmen, dass dem Antrag auf gerichtliche Anordnung ein ärztliches Zeugnis beizufügen ist. Eine Anordnung durch das Gericht kann nur in Betracht kommen, wenn der Fixierung keine gesundheitlichen Gründe entgegenstehen. Hiervon geht letztlich auch § 111 Abs. 2 S. 1 Strafvollzugsgesetz aus, der ja eine Hinzuziehung des Arztes verlangt.

Die Beifügung eines ärztlichen Zeugnisses entspricht dem 4-Augen-Prinzip, wonach mindestens zwei Ärzte, nämlich der behördliche und dann der gerichtlich bestellte Arzt, eine freiheitsentziehende Fixierungsmaßnahme befürworten müssen.

e)        Eins-zu-Eins-Betreuung

Gesetzliche Regelungen zur Fixierung im Justizvollzug müssen auch die Maßstäbe des BVerfG zur Gewährleistung einer sogenannten Eins-zu-Eins-Betreuung durch therapeutisches und pflegerisches Personal beachten. Diese besondere Form der Begleitung soll sicherstellen, dass der Betroffene in der besonderen Ausnahmesituation der Fixierung mit seiner besonderen Schwere des Eingriffs und der damit verbundenen Gesundheitsgefahren nicht allein gelassen wird und sich auch nicht allein gelassen fühlt. Gesetzlich eindeutig muss sich ergeben, dass mit einer Eins-zu-Eins-Betreuung ein ständiger und unmittelbarer Kontakt zwischen dem Personal der Anstalt und dem Fixierten sichergestellt ist, dass das Personal für den Fixierten stets erreichbar ist und dass eine Videoüberwachung nicht ausreichend ist. Weiterhin ist es geboten, bei der Auswahl der Betreuungspersonen nicht hinter den Anforderungen des BVerfG zurückzubleiben.

Nach der Gesetzeslage in § 108 Abs. 8 des Strafvollzugsgesetzs sind die Gefangenen während der Absonderung oder Unterbringung im besonders gesicherten Haftraum in besonderem Maße zu betreuen. Sind die Gefangenen darüber hinaus gefesselt oder fixiert, sind sie durch Bedienstete ständig und in unmittelbarem Sichtkontakt zu beobachten, bei einer Fixierung in unmittelbarer räumlicher Anwesenheit.

Indes darf die vom BVerfG formulierte Eins-zu-Eins-Betreuung nicht nur so verstanden werden, dass neben dem Fixierten stets und ständig eine Person sitzt, die lediglich eine Kontroll- oder Sicherungsfunktion einnimmt.[11] Vielmehr ist eine persönliche, therapeutische Begleitung durch qualifiziertes Personal, das bei der Bewältigung der Krise hilft und zur Linderung der negativen Folgen der freiheitsbeschränkenden Maßnahme beiträgt, erforderlich.[12] Dies gilt auch, wenn der Fixierte nicht psychisch erkrankt ist. Nur eine so verstandene Eins-zu-Eins-Betreuung wird der besonderen Schwere des Eingriffs durch eine Fixierung und den damit verbundenen Gesundheitsgefahren gerecht. Diesen Anforderungen entspricht die Regelung in § 108 Abs. 8 Strafvollzugsgesetz gerade nicht, weil sie sich auf eine schlichte Überwachung beschränkt.

Weiterhin fehlt eine ausdrückliche Regelung, dass die Überwachung durch therapeutisches und pflegerisches Personal erfolgen muss.

Dass zum Beispiel „geschulte“ Vollzugsbedienstete die vom BVerfG vorgesehene Schutzfunktion gegenüber dem Fixierten nicht in dem gleichen Maße wahrnehmen können wie das vom BVerfG angesprochene, mit einem besonderen Abschluss ausgewiesene therapeutische und pflegerische Personal, dürfte auf der Hand liegen. Schließlich geht es doch darum, die Krisenphase aktiv zu begleiten, frühzeitig etwaige Komplikationen aufgrund der Fixierung zu erkennen und in einem solchen Fall zeitnah medizinisch und therapeutisch erforderliche Maßnahmen zu treffen.

f)         Hinweispflicht

Nach § 109 Abs. 4 S. 5 des Entwurfs des Strafvollzugsgesetzes ist der Gefangene nach Beendigung der Fixierung, die nicht richterlich angeordnet worden ist, auf sein Recht hinzuweisen, die Zulässigkeit der durchgeführten Maßnahme bei dem zuständigen Gericht überprüfen zu lassen. Jedoch ist zu berücksichtigen, dass in das Grundrecht auf Freiheit einer fixierten Person nicht allein durch eine richterliche Anordnung eingegriffen wird, sondern dass dies auch durch die Art und Weise der Durchführung der Fixierung der Fall sein kann. Wird zum Beispiel ein Betroffener aufgrund einer richterlichen Anordnung fixiert, wird er aber nicht Eins-zu-Eins betreut, sollte dem Betroffenen nicht nur die Möglichkeit nachträglichen Rechtsschutzes eröffnet werden, sondern sollte er über diese Möglichkeit auch angemessen informiert werden.[13] Die Rechtsbehelfsbelehrung in dem Beschluss über die Anordnung der Fixierung ist nicht ausreichend. Die Rechtsbehelfsbelehrung belehrt nur über die Rechtsmittel gegen die Anordnung der Fixierung. Sie gibt aber keinerlei Hinweise dazu, dass die Art und Weise der Durchführung einer Fixierung gerichtlich überprüft werden kann.

6. Justizvollzugsdatenschutzgesetz

Als Artikel 6 beinhaltet das Justizvollzugsmodernisierungsgesetz den Entwurf eines schleswig-holsteinischen Gesetzes zum Schutz personenbezogener Daten im Justizvollzug (Justizvollzugsdatenschutzgesetz). Dadurch wird  eine eigenständige Regelung des für den Justizvollzug geltenden
Datenverarbeitungs- und Datenschutzrechts geschaffen. Die Datenerhebung, die Datenverarbeitung, der Datenschutz sowie die Rechte der betroffenen Personen werden ausgeformt und zusammenhängend normiert, was den Zu- und den Umgang mit diesen Regelungen deutlich erleichtert. 

III. Belastung der Gerichte

Schon derzeit macht sich die durch die Umsetzung der Fixierungsentscheidung des BVerfG vom 24.07.2018 entstandene Mehrbelastung für die Richter an den Standorten der jeweiligen Vollzugsanstalten sehr deutlich bemerkbar. Der Gesetzentwurf verstetigt diese gravierende Mehrbelastung.

Jedoch übergeht der Entwurf die Mehrbelastung der Richterschaft vollständig und erwähnt sie überhaupt nicht. Die Sichtweise der Landesregierung beschränkt sich bei dem Punkt „Kosten und Verwaltungsaufwand“ allein auf die Einrichtungen des Justizvollzugs.

Die Gerichte sind aber nur dann in der Lage, die Vorgaben des BVerfG zu erfüllen, wenn sie über eine angemessene personelle und sächliche Ausstattung verfügen. Insofern fordert der Schleswig-Holsteinische Richterverband, dass der Gesetzgeber eine entsprechende Ausstattung für den Mehraufwand bei den Gerichten sicherstellt.

 


[1] Siehe hierzu die Stellungnahme Nr. 3/2020 des Schleswig-Holsteinischen Richterverbandes zur LT-Drucksache 19/1757.

[2] BVerfG, Urt. vom 24.07.2018 – Az.: 2 BvR 309/15, 2 BvR 502/16.

[3] Vgl. die Stellungnahme Nr. 5 des Schleswig-Holsteinischen Richterverbandes zum vorausgehenden Regierungsentwurf für ein Justizvollzugsmodernisierungsgesetzes (Stand: 25.02.2020).

[4] Az.: 2 BvR 309/15 und 502/16, NJW 2018, 2619.

[5] V. 24.07.2018 – 2 BvR 309/15 sowie 2 BvR 502/16 –, NJW 2018, 2619.

[6] 2 BvR 309/15 sowie 2 BvR 502/16, NJW 2018, 2619, Rn. 68.

[7] 2 BvR 309/15 sowie 2 BvR 502/16, NJW 2018, 2619, Rn. 70.

[8] So die Begründung auf S. 284 des Entwurfs.

[9] Az.: 2 BvR 309/15 sowie 2 BvR 502/16, NJW 2018, 2619, Rn. 83.

[10] Az.: 2 BvR 309/15 sowie 2 BvR 502/16, NJW 2018, 2619. In  Rn. 81 heißt es: „insoweit sind die Anforderungen, die das Bundesverfassungsgericht für die Anordnung einer Zwangsbehandlung entwickelt hat […] auf die Anordnung einer Fixierung größtenteils übertragbar.“

[11] Vgl. S3-Leitlinie „Verhinderung von Zwang: Prävention und Therapie aggressiven Verhaltens bei Erwachsenen“ der DGPPN vom 10.09.2018, S. 209.

[12] Vgl. S3-Leitlinie „Verhinderung von Zwang: Prävention und Therapie aggressiven Verhaltens bei Erwachsenen“ der DGPPN vom 10.09.2018, S. 209.

[13] Vgl. hierzu auch § 327 FamFG und BGH NJW 1999, 3499 zum Verhältnis von präventivem und nachträglichem Rechtsschutz durch §§ 98, 105 StPO.