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Stellungnahme zu dem Entwurf eines Gesetzes zur Änderung der Verfassung des Landes Schleswig-Holstein – Notausschuss [Art. 47a LVerf SH-Entwurf] 

Der Schleswig-Holsteinische Richterverband bedankt sich für die Anhörung und nimmt zu dem Entwurf einer Verfassungsänderung nachfolgend Stellung. Mit dem Entwurf (LT-Drucksache 19/2558) wird die Übertragung der Kompetenzen des Landtages auf einen Notausschuss im Notfall zur Sicherung der Handlungsfähigkeit des Landes Schleswig-Holstein geregelt.

Obwohl die Änderungsvorschläge des Gesetzentwurfs die Landesverfassung des Landes Schleswig-Holstein betreffen, enthält der Entwurf nicht ein Wort der Begründung. Dies erschwert nicht nur jedwede Auslegung der beabsichtigten Vorschrift (z.B. in einem verfassungsgerichtlichen Streitfall). So fehlt es unter anderem an einer nachvollziehbaren Abwägung zur Angemessenheit und Verhältnismäßigkeit der ganz erheblichen Eingriffe in die Abgeordnetenrechte und in Grundprinzipien der Landesverfassung. Ob darüber hinaus schon allein der Verzicht auf eine Begründung auch Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der beabsichtigten Neuregelung zu begründen vermag, sollte zudem erwogen werden.

Dem Entwurf scheint der Gedanke zugrunde zu liegen, die Funktionsfähigkeit des Parlaments zu schützen und zu stärken. Eine solche Zielrichtung wird im Grundsatz begrüßt. Ohne weitergehende gesetzgeberische Maßnahmen dürfte aber zweifelhaft sein, dass das verfolgte Ziel mit dem Entwurf erreicht werden kann. Ferner sind die im Entwurf verwendeten Tatbestandsmerkmale teilweise nicht konkret genug abgefasst.

1.)       Funktionsdefizite im parlamentarischen System

Die Covid-19-Pandemie hat unter anderem aufgezeigt, dass sie sich wegen der von ihr auch für die Parlamentarier ausgehenden Gesundheitsrisiken zu einem verfassungsrechtlichen Problem auswachsen kann. Bedingt ist dies durch die mit der Pandemie einhergehenden tatsächlichen Umstände. So kann das Distanzgebot von 1,5 Metern zu Problemen mit den Räumlichkeiten führen. Ferner können Abgeordnete Angehörige einer Risikogruppe sein, so dass sie auch als geringer einzuschätzenden Gefahren eher aus dem Weg gehen wollen. Dies wiederum kann die Funktionsfähigkeit des parlamentarischen Systems infrage stellen. Zu bemerken ist dabei, dass durchaus noch gravierendere Notfall-Szenarien denkbar sind, so dass sich der Entwurf nicht zur Unzeit dem Problem widmet.

2.)       Der Notausschuss als "Notfallparlament"

Der Entwurf sieht insbesondere vor, einen Art. 47a in die Landesverfassung einzufügen. Hiernach bestellt der Landtag nach dem Prinzip der Spiegelbildlichkeit einen "Notausschuss" (Absatz 1), der im "Notfall" anstelle des Landtages die zur Sicherung der Handlungsfähigkeit des Landes "erforderlichen Maßnahmen" treffen darf (Absatz 2). Nach den Sätzen 3 und 4 von Absatz 2 bleiben dem Notausschuss strukturelle legislative Kompetenzen verwehrt, um eine Selbstermächtigung von vornherein auszuschließen, was ausdrücklich zu begrüßen ist. In Absatz 3 beschreibt der Entwurf mit wenigen Worten, wann ein Notfall im Sinne von Absatz 2 vorliegen soll. Nach Absatz 4 sind im Entwurf die Voraussetzungen für die Feststellung des "Notfalls" unter Beteiligung der Landtagspräsidentin oder des Landtagspräsidenten und des Landesverfassungsgerichts vorgesehen, was zumindest zeigt, dass die essentiellen Werte u.a. des Demokratieprinzips und der Statusrechte der "ausgesperrten" Abgeordneten in die gesetzgeberischen Überlegungen einbezogen worden sind. Absatz 5 regelt u.a. die Verkündung der vom Notausschuss beschlossenen Gesetze, die der Landtag nach Absatz 6, wie auch andere Maßnahmen des Notfallausschusses, spätestens vier Wochen nach seinem nächsten Zusammentritt auf Antrag aufheben kann. Schließlich ist nach Absatz 7 vom Landtag der Notfall für beendet zu erklären, wenn die Voraussetzungen von dessen Feststellung nicht mehr gegeben sind.

3.)       Stunde der Parlamente

Für die mit dem Entwurf erstrebte Verfassungsänderung spricht jedenfalls, dass auch in Zeiten des "Notfalls" der Arbeit eines Notausschusses gegenüber dem exekutiven Durchentscheiden der Vorzug gegeben wird. Andere Instrumente, mit denen ähnliche Ergebnisse erzielt werden könnten, wie etwa die Änderung der Geschäftsordnung des Landtages oder die Verkleinerung des Parlaments durch interfraktionelle Absprachen (vgl. dazu ausführlich Kersten/Rixen, Der Verfassungsstaat in der Corona-Krise, VI. Parlament, Seite 101 f., beck-online m.w.N.), dürften weniger effektiv sein.

Zu bedenken ist aber, dass es die Aufgabe des Parlaments ist, auch in Zeiten der Krise, nicht die eigene Handlungsfähigkeit zu bezweifeln, sondern diese sicherzustellen. Gerade wenn das Recht auf öffentliche Versammlungen beschränkt werden muss, gilt es, den öffentlichen Versammlungsraum des Parlaments aufrechtzuerhalten (vgl. hierzu Möllers, in: verfassungsblog.de, 20.03.2020 auch mit weiteren kritischen Argumenten). An dieser Stelle sei bemerkt, dass der im Entwurf vorgesehene Fall des "unüberwindlichen Hindernisses" der Zusammenkunft des Landtags in der Covid-19-Pandemie ersichtlich nicht eingetreten ist. An erster Stelle muss die Frage stehen, wie man es erreichen kann, die Zusammenkunft des Parlaments risikoarm zu ermöglichen. Zu denken ist hier insbesondere an technische Fragen, wie das Finden eines geeigneten Raums usw. Vor der Berufung eines Notausschusses ist de lege ferenda auch darüber nachzudenken, die Option eines "virtuellen" Zusammenkommens des Parlaments zu schaffen (vgl. dazu ausführlich Kersten/Rixen a.a.O., Seite 103 ff.). Dabei sei aber auch darauf hingewiesen, dass das "virtuelle Parlament" erst dann eine optimale Lösung darstellen kann, wenn funktionierende und möglichst unangreifbare technische Rahmenbedingungen geschaffen sind.

4.)       Weitere Anmerkungen

Empfehlenswert ist es außerdem, insbesondere die Regelung des Art. 47a Abs. 3 des Entwurfs zu konkretisieren. Der "Notfall" wird unter Verwendung der aus Art. 11 Abs. 2 GG bekannten Beispiele definiert. Es ist aber fraglich, ob die für den Fall des Art. 11 GG erarbeiteten Erkenntnisse auf den hier verfolgten Gesetzeszweck übertragen werden können. Erstrebenswert ist dabei insbesondere im Hinblick auf das Demokratieprinzip eine Verengung des Tatbestandes.