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Stellungnahme zum Entwurf eines Gesetzes zur Zulassung von Verfassungsbeschwerden

Der Schleswig-Holsteinische Richterverband bedankt sich für die Anhörung und nimmt wie folgt Stellung zu dem Entwurf eines Gesetzes zur Zulassung von Verfassungsbeschwerden, Stand 30.06.2022 (Drs. 20/71):

Der Entwurf intendiert die Einführung einer Verfassungsbeschwerde auf Landesbene für behauptete Verletzungen der in Art. 6 Abs. 1, 12 Abs. 2 und 4 , 14 Abs. 2 und Art. 4 Abs. 1 der Verfassung des Landes Schleswig-Holstein genannten Rechte. Dabei entsprechen die in Art. 2 des Entwurfs vorgesehenen Änderungen des Landesverfassungsgerichtsgesetzes (LVerfGG) weitestgehend den Regelungen zur Verfassungsbeschwerde in §§ 90, 92, 93 Abs. 1 bis 3, 94, 95 BVerfGG.

Das Grundanliegen des Entwurfs, mögliche Lücken im Rechtsschutz zu schließen, ist für den Schleswig-Holsteinischen Richterverband nachvollziehbar. Gleichwohl ist der Entwurf in seiner näheren inhaltlichen Gestaltung und im Hinblick auf die angeführte Begründung  unter verschiedenen Gesichtspunkten nicht zustimmungsfähig.

So erfordert eine derart weitreichende wie die vorgeschlagene Gesetzesänderung zunächst eine vorgeschaltete Bedarfsprüfung. Aussagen zu möglichen Fallgruppen und den Anliegen – auch in quantitativer Hinsicht – lässt der Entwurf indes gänzlich vermissen. Hier wäre es erforderlich, anhand zugänglicher Quellen wie etwa den Erfahrungen des Petitionsausschusses oder durch Auskünfte anderer Bundesländer, die bereits eine Verfassungsbeschwerde auf Landesebene eingeführt haben, eine taugliche Datenlage zu schaffen, anhand derer fundierte Aussagen zur Notwendigkeit der Einführung einer Landesverfassungsbeschwerde – auch im Hinblick auf den vorgeschlagenen Katalog tauglicher Beschwerdegegenstände – getroffen werden können.

Damit einher geht eine unzureichende Abschätzung des Personalbedarfs, der voll gedeckt sein muss. Auch dazu fehlt es an Angaben in der Entwurfsbegründung. Die knappen und kostbaren Ressourcen der Justiz sollten effektiv eingesetzt werden, was eine vorhergehende Bedarfsanalyse unerlässlich macht. Dabei kann nicht allein darauf abgestellt werden, dass „nur“ die eingangs genannten fünf Bestimmungen Gegenstand einer Landesverfassungsbeschwerde sein sollen. Bereits Art. 14 Abs. 2 S. 2 LVerfGG, wonach das Land im Rahmen seiner Kompetenzen einen persönlichen, schriftlichen und elektronischen Zugang zu seinen Behörden und Gerichten zu sichern hat und niemand wegen der Art des Zugangs benachteiligt werden darf, kann Gegenstand zahlreicher Fallgestaltungen sein. Gleiches gilt auch für eine behauptete Verletzung der Wahlgrundsätze in Art. 4 Abs. 1 LVerfGG. Ferner ist zu berücksichtigen, dass selbst offensichtlich unzulässigen oder unbegründeten Verfassungsbeschwerden eine Prüfung vorauszugehen hat. Dafür ist in jedem Einzelfall richterliches Personal erforderlich.

In diesem Zusammenhang fällt zudem ins Auge, dass – anders als im Bundesverfassungsgerichtsgesetz – keine Filterfunktionen zur Entlastung des Verfassungsgerichts – etwa vor missbräulichen oder querulatorischen Verfassungsbeschwerden - vorgesehen sind. So fehlt eine mit §§ 93a, 93d BVerfGG vergleichbare Regelung, nach der die Verfassungsbeschwerde der Annahme zur Entscheidung bedarf und die Ablehnung der Annahme nicht zu begründen ist, im Gesetzesentwurf. Ebenso wenig sind Entscheidungen durch Kammern (vgl. § 93b ff. BVerfGG) vorgesehen. Die einzige in § 59 Abs. 1 LVerfGG vorgesehene Möglichkeit , ohne mündliche Verhandlung entscheiden zu können, erscheint aus gerichtlicher Praxis unzureichend, um queraltorischen Beschwerdeführern angemessen begegnen zu können.

Zu weitgehend ist schließlich die Intention des Entwurfs, für die Bürgerinnen und Bürger die Möglichkeit zu schaffen „Landesgesetze und ihre Wirkungen zu hinterfragen“, was in der Sache eine – abzulehnende – Normenkontrollbefugnis für jedermann mit sich bringen würde. Es wäre mit auszufernden Verfahrenszahlen zu rechnen, zumal für den Prüfungseinstieg lediglich die Behauptung der Verletzung eines der eingangs genannten Rechte genügen soll.