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Stellungnahme zum Entwurf eines Abschiebungshaftvollzugsgesetzes Schleswig-Holstein

Der Schleswig-Holsteinische Richterverband bedankt sich für die Anhörung und nimmt zu dem Entwurf der Landesregierung für ein Gesetz über den Vollzug der Abschiebungshaft in SchleswigHolstein – Abschiebungshaftvollzugsgesetz Schleswig-Holstein – AHaftVollzG SH – (LT-Drucksache 19/939) sowie zu dem Änderungsantrag der SPD-Fraktion (Umdruck 19/1474), wie folgt, Stellung:

I.

Die Schaffung eines entsprechenden Gesetzes zur Durchführung der Abschie-bungshaft im Land Schleswig Holstein ist uneingeschränkt zu begrüßen. Wenngleich entsprechende Regelungen nach der Schließung der Abschiebungshafteinrichtung in Rendsburg im Jahre 2014 mangels Eröffnung einer neuen Gewahrsamseinrichtung aus tatsächlichen Gründen bislang nicht erforderlich waren, so dürfte der Zeitpunkt im Hinblick auf die neu konzipierte Einrichtung in Glückstadt und deren geplante Öff-nung zum Jahr 2020 gut gewählt sein, um einen Start im gesicherten rechtlichen Rahmen zu ermöglichen.

In rechtlicher Hinsicht ergibt sich ein Handlungsbedarf für entsprechende Gewahr-samseinrichtungen seit etlichen Jahren. Bereits im Jahre 2011 wurde mit dem Ge-setz zur Umsetzung aufenthaltsrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union und zur Anpassung nationaler Rechtsvorschriften an den EU-Visakodex (BGBl. I 2011, S. 2258) ein § 62a AufenthG, der den Vollzug der Abschiebungshaft regelt, ebenso neu geschaffen wie der entsprechend notwendige Zusatz in § 422 Abs. 4 FamFG aufgenommen. Die erstgenannte Bestimmung übernimmt im Wesentlichen den In-halt der Art. 16, 17 der Richtlinie 2008/115/EG der Europäischen Union vom 16.12.2008 (AblEU 2008, L 348 S. 98 ff.). Hieraus folgt, dass die Inhaftierung in spe-ziellen, vom Strafvollzug zu trennenden Einrichtungen zu erfolgen hat. Dieser Grundsatz gilt seit dem Urteil des EuGH vom 17.7.2014 (Az.: C-473/13 und C-514/13, InfAuslR 2014, 347) für das gesamte Bundesgebiet uneingeschränkt, weil in mehreren Bundesländern bereits spezielle Hafteinrichtungen vorhanden sind (vgl. BGH vom 25.9.2014 – V ZB 144/12, Rz. 4, und vom 25.7.2014 – V ZB 137/14, Rz. 7). Dabei gibt es keine Alternative zur Schaffung einer speziellen Gewahrsamseinrichtung. Denn die Unterbringung in einer Justizvollzugsanstalt ist auch dann unzulässig, wenn sie in einem räumlich vom Strafvollzug getrennten, ge-sonderten Gebäude auf ihrem Gelände vorgenommen wird (vgl. BGH v. 25.7.2014 – V ZB 137/14, Rz. 9). Schließlich führt auch die Zustimmung des Betroffenen zu ei-nem Vollzug mit Strafgefangenen zu keiner anderen Bewertung, da die maßgebliche Frage nicht seiner Disposition unterliegt (vgl. BGH v. 25.9.2014 – V ZB 144/12, Rz. 6). Dies alles gilt für die „allgemeinen Abschiebungshaftfälle“ ebenso wie für die sog. Rücküberstellungsfälle auf der Grundlage des sogenannten Dubliner Überein-kommens (vgl. BGH v. 20.11.2014 – V ZB 54/14, Rz. 8). Vor diesem Hintergrund ergibt sie auch keine grundlegend andere Bewertung da-durch, dass als Reaktion auf die verschiedenen Anschläge islamistischer Attentäter in Deutschland und Europa im Juli 2017 die Bestimmung des § 62a Abs. 1 Satz 2 AufenthG (BGBl. I 2017, 2780) erweitert wurde. Bekanntlich können nun die im poli-tischen Diskurs sogenannten „Gefährder“ gleichwohl in den vorhandenen Justizvoll-zugsanstalten untergebracht werden, sofern vom Betroffenen eine erhebliche Gefahr für Leib und Leben Dritter oder bedeutende Rechtsgüter der inneren Sicherheit aus-geht. Diese Fälle machen in einer Gesamtschau nur einen verschwindend geringen Anteil der entsprechenden Gewahrsamnahmen aus.

Die mit § 62a AufenthG und Art. 16, 17 der Richtlinie 2008/115/EG der Europäischen Union vorhandenen gesetzlichen Vorschriften geben nur einen groben Rahmen für ein in die Kompetenz der jeweiligen Bundesländer fallendes Gesetz zur Gestaltung des Abschiebegewahrsams vor. Diese Vorgaben sind mit dem vorliegenden Entwurf allesamt eingehalten worden. Die weitergehende Ausgestaltung hat sich unter der besonderen Berücksichtigung des Charakters der Abschiebungshaft zunächst an den durch die höchstrichterliche Rechtsprechung ausgeformten und in anderen Be-reichen des exekutiv angeordneten Freiheitsentzuges (z.B. Landesstrafvollzugsge-setz Schleswig-Holstein [LStVollzG SH], Gesetz über den Vollzug der Untersu-chungshaft in Schleswig Holstein, Maßregelvollzugsgesetz) etablierten gesetzlichen Standards zu orientieren. Auch diese Maßstäbe werden beachtet. Alle weitergehen-den Regelungen unterliegen dem Entscheidungsspielraum der Legislative und sollen durch den Schleswig-Holsteinischen Richterverband nicht bewertet werden.

II.

Zu den Regelungen des Regierungsentwurfes im Einzelnen:

1. Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes

Vorab ist positiv hervorzuheben, dass die in vielen Fällen klare Vorgaben enthalten-den Normen häufig Ausnahmen vorsehen (besonders deutlich in § 4 Abs. 1, 2 und 3, § 5 Abs. 1 und 2 RegE). So wird im Sinne einer den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz beachtenden und die besonderen Umstände des Einzelfalles berücksichtigenden Vorgehensweise den individuellen rechtlichen Betroffenheiten ebenso wie den jewei-ligen Gegebenheiten ausreichend Rechnung getragen.

2. Begriff „Abschiebungshaft“

Es ist dem Gesetzentwurf nicht vorzuwerfen, dass er den überkommenen Terminus der „Abschiebungshaft“ weiterverwendet. Dabei ist dieser durchaus kritikwürdig, handelt es sich doch nicht um die Sanktionierung des einem Betroffenen vorzuwer-fenden Verhaltens, wie dies in den anderen Rechtsgebieten, in denen dieser Terminus verwendet wird, der Fall ist (aus diesem Grund trägt die größte Abschiebehaftanstalt Deutschlands in Büren auch die Bezeichnung „Unterbringungseinrichtung für Ausreisepflichtige“). Denn die staatliche Reaktion auf den unerwünschten Aufenthalt des Ausländers besteht primär in der zwangsweisen Durchsetzung der Ausreisepflicht. In enger Verzahnung von öffentlichem Recht und ordentlicher Gerichtsbarkeit geht es bei dieser „Haft“ allein um die Sicherung eines Verwaltungshandelns, näm-lich der Abschiebung. Aus diesem Grunde wäre als terminus technicus der Begriff „Abschiebungsgewahrsam“ der inhaltlich zutreffendere. Unter diesem Aspekt positiv hervorzuheben ist, dass im weiteren nicht von „Abschiebungshäftlingen“ die Rede ist, sondern von „Untergebrachten“ bzw. „untergebrachten Personen“ (z.B. § 2 RegE). Dies macht insbesondere gegenüber den von der Maß-nahme Betroffenen den eingangs geschilderten Charakter deutlich und respektiert ihre besondere Stellung.

3. Soziale Betreuung und Soziale Beratung, §§ 3 Abs. 6, 6 Abs. 2 RegE

Im Hinblick auf weitere Begrifflichkeiten bringt ein wenig Unsicherheit die Verwen-dung der Termini der „sozialen Betreuung“ in § 3 Abs. 6 RegE sowie der „sozialen Beratung“ in § 6 Abs. 2 RegE. Jedenfalls aus dem Gesetz selbst wird nicht deutlich, wo die Unterschiede und Besonderheiten dieser besonderen Stellen im Rahmen des Vollzuges liegen sollen. Dies aber wäre im Sinne der Klarheit insbesondere für die Betroffenen, die ja von entsprechenden Stellen profitieren sollen, wünschenswert.

4. Telefonate, § 10 Abs. 6 S. 2 RegE

Zur Klarstellung, insbesondere für die Betroffenen des Gesetzes, sollte in § 10 Abs. 6 Satz 2 RegE verdeutlicht werden, dass die dort geregelten Telefonate kostenfrei geführt werden können.

5. Fehlender Richtervorbehalt bei Fixierung, § 15 RegE

§ 15 RegE regelt besondere Sicherungsmaßnahmen, zu denen u.a. die Fesselung und die Fixierung gehören. Hierzu nimmt die Vorschrift Bezug auf § 108 Abs. 1, 2 Nr. 4-6, Abs. 3, 4, 6-9 LStVollzG SH.

Dieser Vorschlag dürfte den Anforderungen der neuen Entscheidung des Bundes-verfassungsgerichts vom 24.7.2018 (Az.: 2 BvR 309/15 und 2 BvR 502/16) zur Fixie-rung im Rahmen öffentlich-rechtlicher Unterbringung nach den Landesgesetzen zur Unterbringung psychisch kranker Menschen nicht gerecht werden. In diesem Urteil ist unter Betonung des Gesetzesvorbehaltes gefordert worden, dass bestimmte Fixierungen (zumindest 5- und 7-Punkt-Fixierungen) einer gesetzlichen und im Hinblick auf die materiell-rechtlichen und verfahrensrechtlichen Voraussetzungen ausreichend deutlichen Grundlage bedürfen. Ferner sind nähere Ausgestaltungen zur Zu-lässigkeit dieser besonderen Freiheitsbeschränkung aufgestellt worden.

Statt einer Bezugnahme auf § 108 Abs. 2 Nr. 6 LStVollzG SH wird es infolge dieser BVerfG-Entscheidung einer konkreten Ausformung in dem Abschiebungshaftvoll-zugsgesetz bedürfen, auch weil die Situation im Abschiebungsgewahrsam eine gänzlich andere ist als im Strafvollzug. Insbesondere wird ein Richtervorbehalt gesetzlich zu verankern. Weiterhin bedarf klarer Vorgaben, wie eine Eins-zu-Eins-Betreuung des fixierten Betroffenen stattzufinden hat.

6. Beirat, § 21 RegE

Die Schaffung eines Beirates § 21 RegE ist durchaus zu begrüßen. Entsprechende Einrichtungen haben sich in verschiedenen Kontexten bereits bewährt. Allerdings wäre die Angabe der Zusammensetzung dieses Gremiums auch im Gesetz durch-aus sinnvoll. In jedem Fall allerdings sollte, wenn eine entsprechende Ausgestaltung durch die nachfolgende Verordnung nach § 24 RegE geplant ist, ein Verweis hierauf erfolgen.

III.

Zu dem Änderungsantrag der SPD-Fraktion:

Der umfangreiche Änderungsantrag (im Folgenden ÄA) nimmt in seinen Bestimmun-gen die Rechte und Bedürfnisse der untergebrachten Personen stärker in den Blick als der Regierungsentwurf. Er erweitert deren Rechte ebenso wie die Pflichten des Staates bzw. der am Vollzug Beteiligten erheblich. Dabei sind die meisten Bestimmungen gerade aus dem Blickwinkel der Betroffenen sicherlich wünschenswert (beispielhaft § 10, § 3 Abs. 3, § 4, § 5 ÄA), rechtlich jedoch nicht zwingend. Etwas anderes gilt für den Änderungsvorschlag zur Regelung des Beirats in § 25 ÄA, der im wesentlichen der oben stehenden Kritik zum Regierungsentwurf (dort § 21 RegE) entspricht, jedoch dann weitergehend eine ganze Reihe von Aussagen enthält, die jedenfalls rechtlich nicht zwingend geboten sind.

Bemerkenswert ist die im Änderungsantrag vorgesehene Vorschrift des § 9 ÄA, die weit über den Regierungsentwurf hinausgeht. Hier wird auf dem Gebiet ärztlicher Zwangsmaßnahmen eine gesonderte Bestimmung vorgesehen. Inhaltlich entspricht die geplante Bestimmung, die durch die Aufnahme des Tatbestandsmerkmales der „psychischen Krankheit oder einer geistigen oder seelischen Behinderung“ (wobei hier aus nicht nachvollziehbaren Gründen die Krankheitsdefinition des § 1896 BGB und nicht des § 1 Abs. 2 des Gesetzes zur Hilfe und Unterbringung psychisch kran-ker Menschen [PsychKG SH] übernommen wird) in ihren wesentlichen Aussagen dem § 14 PsychKG SH.

Dies erscheint in rechtlicher Hinsicht mehrfach problematisch. Denn soweit es um die „Untersuchung und Behandlung“ von psychisch erkrankten Personen geht, sollte keinerlei entsprechende ärztliche Maßnahme im Rahmen eines allgemeinen Vollzuges, sondern ausschließlich in psychiatrischen Krankenhäusern vorgenommen werden. Hier hält das PsychKG SH auch ausreichende Vorschriften zur Durchführung der Behandlung unter geschlossenen Bedingungen vor. Des weiteren dürfte dann, wenn man eine entsprechende Vorschrift schaffen wollte, wohl ein Richtervorbehalt zu installieren sein, um den Anforderungen an die Rechtsprechung des Bundesver-fassungsgerichtes zu entsprechenden Maßnahmen im Rahmen eines öffentlich-rechtlich angeordneten Gewahrsams bzw. einer Haft gerecht zu werden (vgl. BVerfG vom 23.3.2011 – 2 BvR 882/09, NJW 2011, S. 2113; BVerfG v. 12.10.2011 – 2 BvR 633/11, NJW 2011, S. 3571 ; BVerfG v. 15.12.2011 – 2 BvR 2362/11, BtPrax 2012, S. 61). Die vorgesehene bloße Anordnung durch einen Arzt dürfte auch bei Zustimmung der Leiterin oder des Leiters der Einrichtung nicht ausreichend sein.

Im Hinblick auf die neben der Zwangsbehandlung i.e.S. angesprochene Zwangser-nährung lehnt sich der Änderungsantrag an bestehende Regelungen wie beispielsweise § 79 des Gesetzes über den Vollzug der Freiheitsstrafe, der Jugendstrafe und der Untersuchungshaft im Land Brandenburgvom 24. April 2013 [GVOBl. I 2013 Nr. 14] an. Inhaltlich entspricht die geplante Norm zudem im wesentlichen der landesgesetzlichen Regelung des § 86 LStVollzG SH. Statt einer Bezugnahme auf diese Bestimmung ist im Sinne der Klarheit die Übernahme einer ausdrücklichen Regelung in das Abschiebungshaftvollzugsgesetz zu begrüßen. Allerdings dürfte auch hier die Installation eines Richtervorbehalts unter Berücksichtigung der geschilderten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes notwendig sein.