Stellungnahme zum Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Landesrichtergesetzes
Der Schleswig-Holsteinische Richterverband bedankt sich für die Gelegenheit, zu dem Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Landesrichtergesetzes (LT-Drucksache 19/3098) Stellung zu nehmen.
Wir beschränken unsere Ausführungen auf die im Gesetzentwurf vorgeschlagenen Änderungen, die das Verfahren der Richterwahl durch den Richterwahlausschuss und das Justizministerium betreffen (§§ 22, 24 LRiG). Diesbezüglich verweisen wir zunächst auf unsere bereits mehrfach öffentlich geäußerte Kritik, die zu einer entschiedenen Ablehnung des Gesetzentwurfs Anlass gibt.
Grundlegend hatten wir uns bereits in einer ausführlichen Presseerklärung vom 11.06.2021 geäußert. Auf den Inhalt der Erklärung, die wir gemeinsam mit der Neuen Richtervereinigung abgegeben haben und die wir zum Bestandteil auch dieser Stellungnahme an den Innen- und Rechtsausschuss machen, nehmen wir in vollem Umfang Bezug und fügen sie daher unserer Stellungnahme bei. Der Presseerklärung vorausgegangen sind sowohl ausführliche Beratungen der Berufsverbände als auch intensive Gespräche mit den Landtagsfraktionen, die den Gesetzentwurf eingebracht haben. Die Erklärung gibt daher den aktuellen Meinungsstand wieder.
Einleitend möchten wir ferner hervorheben, dass nicht nur die von uns vertretene Richterschaft die angesprochenen Regelungen des Gesetzentwurfs, die auf eine Abschwächung der Bestenauslese zielen, nach wie vor geschlossen ablehnt. Diese Ablehnung wird – soweit uns bekannt – von den Leitungen der Präsidialgerichte des Landes geteilt. Vor allem aber, und das gibt aus unserer Sicht noch weiter zu denken, hat sich unabhängig vom und zusätzlich zum gesamten höheren Justizdienst auch die Berufsvertretung der Schleswig-Holsteinischen Rechtsanwälte und Notare nachdrücklich ablehnend zu dem Gesetzentwurf geäußert. Daran wird die für die Justiz und damit auch für den Rechtsstaatschädliche Außenwirkung besonders deutlich, die mit einer Abkehr von dem strikten Gebot der Bestenauslese verbunden wäre.
Wir appellieren daher erneut an alle politisch Verantwortlichen, an dem Gebot der Bestenauslese festzuhalten. Dieses im Kern unserer Rechtsordnung verankerte Prinzip darf nicht aufgegeben oder zurückgedrängt werden. Soweit in der Praxis Kollisionen mit anderen Rechtsprinzipien aufgetreten sind oder Unzuträglichkeiten in der Handhabung von Auswahlverfahren wahrgenommen werden, ist zunächst eine sorgfältige Analyse geboten. Keinesfalls darf „das Kind mit dem Bade ausgeschüttet“ werden.
Die Motivation für den vorliegenden Gesetzentwurf erblicken wir in dem Wunsch nach einer größeren Entscheidungsfreiheit des Richterwahlausschusses. Dessen Kompetenzen seien in unbefriedigender Weise eingeengt, einerseits durch die Beurteilungen der Bewerberinnen und Bewerber sowie andererseits durch die verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung, die sich an (zu) formalen Kriterien orientiere. Für diese Wahrnehmung haben wir grundsätzlich Verständnis; sie rechtfertigt für sich genommen indessen nicht die im Gesetzentwurf vorgeschlagenen weitreichenden Änderungen.
Soweit es das – als störend empfundene – Beurteilungswesen angeht, befinden wir uns in einer Umbruchphase. Denn das Beurteilungsrecht steht unmittelbar vor einer grundlegenden Neuordnung, nachdem das Bundesverwaltungsgericht eine gesetzliche Verankerung der Beurteilungsregelungen als zwingend eingefordert hat. Damit wird das aktuell geltende Beurteilungswesen in naher Zukunft ohnehin wegfallen und durch Neuregelungen ersetzt werden müssen, die abgewartet werden sollten. Nur so lässt sich die notwendige Kohärenz von Beurteilungswesen und Richterwahl und damit ein in sich stimmiges Gesamtsystem gewährleisten. Jetzt, in einer Umbruchphase des Beurteilungsrechts, unter hohem Zeitdruck und ohne eine stringente Gesamtplanung einen einzelnen Baustein aus diesem System herauszugreifen, erscheint uns hingegen widersinnig, zumindest aber vorschnell.
Demgegenüber existieren auch nach der bestehenden Rechtslage durchaus Möglichkeiten, sich von einer – möglicherweise zu engen – Bindung an Beurteilungen zu lösen, ohne zugleich das Prinzip der Bestenauslese anzutasten. Sofern bei einzelnen Auswahlentscheidungen Konkurrenzsituationen eintreten, die sich für den Richterwahlausschuss nicht überzeugend anhand der Beurteilungen und der Personalakten der Bewerberinnen und Bewerber auflösen lassen, sollte insbesondere von der Möglichkeit einer persönlichen Anhörung Gebrauch gemacht werden. Diese Möglichkeit ist nicht auf höhere Beförderungsämter begrenzt, sondern besteht für alle Stellen im gesamten Zuständigkeitsbereich des Richterwahlausschusses. Dabei sollte mit Blick auf das Anforderungsprofil der jeweiligen Stelle ein strukturiertes Gespräch mit den Bewerberinnen und Bewerbern stattfinden, aus dessen Verlauf der Ausschuss zur Ergänzung der Beurteilungen eigene Schlüsse auf die Eignung der Bewerberinnen und Bewerber für das angestrebte Amt ziehen kann. Geht es dagegen, oder auch daneben, um Unklarheiten der vorliegenden Beurteilungen, so könnten auch die Beurteiler vor den Ausschuss geladen werden, um im Dialog ergänzende Feststellungen herbeizuführen. Aus unserer Sicht empfiehlt es sich in allen Zweifelsfällen auf die primäre Erkenntnisquelle, also auf Bewerberinnen und Bewerber bzw. Beurteilerinnen und Beurteiler, zuzugehen. Diese Möglichkeiten, die derzeit nicht ausgeschöpft werden, sollten bei Bedarf flexibel wahrgenommen werden.
Wir nehmen im Übrigen nochmals auf unsere bisherigen öffentlichen Äußerungen Bezug und wiederholen als Spitzenvertretung der Richterschaft in Schleswig-Holstein unsere Bereitschaft, alle von dem Gesetzesvorhaben tangierten Bereiche, die Teil eines hochkomplexen Personalauswahlsystems sind, gemeinsam mit allen Verantwortlichen sorgfältig und ergebnisoffen zu analysieren. Soweit sich danach Reformbedarf ergibt, werden wir entsprechende Gesetzesänderungen unterstützen. Der vorliegende Entwurf behandelt demgegenüber nur einen kleinen Ausschnitt des Systems; er ist inhaltlich so nicht tragbar und kommt im Hinblick auf die Reform des Beurteilungsrechts zur Unzeit.